Albanien – von Elbasan nach Tirana

Aus dem Süden Albaniens kommend kann man über Durres oder Elbasan nach Tirana fahren. Der Weg über Durres ist weitgehend flach, aber führt über stark befahrene Straßen und Autobahnen. Zwischen Elbasan und Tirana wartet statt dessen ein Pass auf die Radfahrer. Der landschaftlich reizvolle Teil von Albanien sind die Berge. Und deshalb wagen wir uns, den Pass in Angriff zu nehmen.

Das Wetter bietet Sonne, Wolken und Schauer. Es wird die Königsetappe mit 900 hm auf 52 km. Endlich, schon nach 11 Uhr starte ich. Nach fünf Kilometern beginnt die Steigung, dafür lässt der Verkehr signifikant nach. Für den Regen gerüstet, wird mir schon nach wenigen Kurven zu warm. Ich halte an und ziehe Überschuhe, Helmkappe und ein Shirt aus. Alles griffbereit verstaut. Auf der ersten Hälfte des Anstiegs steht die Sonne im Berg. Italienische Restaurants mit Blick auf Elbasan am Straßenrand. Dieser Teil des Anstiegs ist besonders herausfordernd. Steigung zwischen sieben und zehn Prozent. Immer mal wieder halte ich an. Der Puls geht zu hoch. Ein paar Fotos und weiter. An einer kleinen Moschee ist der anstrengendste Teil geschafft. Es geht weiter bergauf, aber die durchschnittliche Steigung hat nur noch fünf bis acht Prozent. Es fängt an zu tröpfeln. Regencape, Überschuhe und Helmkappe wieder auf. Regen hört auf. Bis auf Überschuhe alles wieder ab. Bevor es auf der Höhe von fast 800 m zwei Kilometer fast eben weitergeht, mache ich Pause in einer Bar. Zwei Rennradfahrer kommen entgegen und grüßen anerkennend. In der Bar sitzen ältere Männer bei Bier und Raki und palavern. Coca Cola ist international. Das wird in jeder Sprache verstanden. Auf die Schokoriegel zeige ich. Dann geht es weiter und zum Glück bald bergab. Aussicht auf eine scheinbar unendliche Bergwelt mit fast kahlen Bergrücken. Auch in der Abfahrt bleibt die Straße gut und kaum befahren. Tirana ist noch nicht zu sehen. Unvermittelt beginnt der chaotische Verkehr der Stadt. Schon wähnte ich mich fast am Ziel und muss mich dann in den sieben Kilometer langen Stau in die Innenstadt von Tirana einordnen. Niemand gibt einen Zentimeter nach. Mit Warnblinker wird in der zweiten Reihe geparkt. Türen werden geöffnet. Die Autos fahren los, ohne zu blinken und ohne auf den von hinten kommenden Verkehr zu achten. Erstaunlicherweise funktioniert das ohne Blechschäden. Die meisten Autos halten rechts etwas Platz, damit ich langsam vorbeifahren kann. Trotzdem stehe ich noch oft in der Schlange im Stop and Go. Die Busse in der Innenstadt sind überfüllt. Ein schmaler Radweg rechts mit flexiblen Markierungen abgegrenzt. Fast zu schmal, um ihn mit den Taschen zu befahren. Auch Mopeds nutzen ihn hin und wieder, um besser vorwärts zu kommen. Eine von Polizeisirenen angeführte Wagenkolonne schwarzer Minivans muss vorbeigelassen werden. Abends sehe ich sie in den Nachrichten im Zusammenhang mit einem polizeilichen Fahndungserfolg wieder. In der Mitte der Stadt eine große Moschee. Kirchen sehe ich in Albanien kaum. Das Kloster Zvërnec war bis jetzt die einzig christliche Glaubensstätte auf meinem Weg. Die Gesellschaft ist durch die lange Zugehörigkeit zum osmanischen Reich geprägt.

Passstein

Ein Tag in Tirana

Ich gehe Richtung Innenstadt. Der Skanderbegplatz ist nicht flach. Er ist eher eine flache Pyramide. Nein, es fehlen keine Steine auf dem Platz und wahrscheinlich auch auf anderen Plätzen. Sie sind abschüssig, weil dort im Sommer Wasser zur Kühlung hochgepumpt wird und herunterläuft. Das Wasser fließt aus den „fehlenden Steinen “ hinaus. Das historische Museum wird zwar von außen renoviert, aber es ist geöffnet. Viel Keramik und Skulpturen. Karten mit wechselnden Besiedlungsgebieten. Die ursprünglichen Bewohner des Gebietes sind Illyrer. Griechen, Slaven, Römer, Osmanen haben das Gebiet im Laufe der Jahrtausende besetzt. Die 1912 erreichte Unabhängigkeit von den Osmanen hielt nur zwei Jahre. Dann setzten die „westlichen Großmächte “ Prinz Wilhelm von Wied als Statthalter ein. Nach 1920 übernahm Zogu, der sich später zum König erklärte, die Macht. Bis ihn die italienischen Faschisten vertrieben. Eigentlich war Albanien nie unabhängig. Im Museum werden Opfer beim Kampf gegen den Faschismus gleichermaßen wie Opfer beim Kampf gegen den Kommunismus beklagt ohne das Leben in der jeweiligen Zeit darzustellen. Es ist ein Museum der wechselnden Herrschaften. Ich kaufe noch ein Büchlein über misslungene Industrialisierung und möchte mir ein Café suchen, um darin zu blättern. Ein junger Mann mit Reiserad schiebt durch die Stadt. Ich spreche ihn an. Es ist nicht der Reiseradler, den wir unterwegs gesehen haben. Es ist ein junger Türke, der mit seinem Rad den Balkan bereist. Gerade möchte er sich mit einem Bekannten treffen, um etwas zu trinken. Er lädt mich ein, mitzukommen. Es kommt noch ein Bekannter dazu, der in Deutschland studiert hat und teils in Deutschland, teils in Tirana lebt. Er ist ein interessanter Gesprächspartner, der perfekt Deutsch spricht und viel über Albanien und Tirana erzählen kann. Er führt uns durch die Stadt. Wir sehen das Stadion, das in einem Einkaufs- und Bürozentrum versteckt ist, die Universität, den Park, ein Denkmal mit Bunker, Berliner Mauer und Gefängnisresten, den Präsidentenpalast. Das alles in der touristisch hergerichteten Innenstadt mit breiten Fahrradwegen. Wer sich dort eine Wohnung leisten kann, lebt auf Weltstadtniveau. Heute leben eine Millionen Einwohner in Tirana. Vor nicht so langer Zeit waren es noch 300.000. Die Infrastruktur konnte mit dem Bevölkerungswachstum nicht mithalten. Daher käme das Chaos auf den Straßen. Abends gehen wir in der Ausgehmeile in einem Restaurant Ceren Ismet Shehu, das alle Lebensmittel selbst produziert, essen. Eine sehr interessante Kombination aus traditionellem Essen, angepasst an moderne Ansprüche. Blätterteigvorspeisen, Käse, Salat, Fleischspieße und eine gegrillte Rinderrippe. Dazu guter selbstgkelterter Rotwein. Stefan kommt auch dazu. Es wird ein Abend mit guter Unterhaltung, sehr gutem Essen und sehr gutem Wein. Für Tirana könnte man sich ruhig etwas mehr Zeit lassen, aber wir fahren weiter.

Turgay aus der Türkei (rechts) plant die nächsten zehn Jahre mit dem Rad um die Welt zu fahren
Elbasan – Tirana 52 km880 hm
Strecke auf Komoot

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