Über Bologna nach Rimini

Bei strahlendem Sonnenschein mache ich mich auf meine erste Etappe. 50 km von Venezia Mestre bis Pegolotte. Die Sonne wärmt und macht das Radeln trotz Temperaturen um die 5°C angenehm. Aus der Stadt hinaus geht es meist auf Radwegen, dann auf Nebensträßchen durch die flache Gegend. Auch hier gibt es viel Wasser. Kanäle und kleine Flüsse durchziehen das Land. Keine Lust bei der Kälte anzuhalten und Fotos zu machen. Pause in Piove di Sacco. Noch ein paar Nebenstraßen bevor der Rest des Weges auf einer Hauptstraße zurückzulegen ist. Schon um halb drei bin ich an der Unterkunft. Niemand da. Ich rufe an. Ein Mann reißt der Frau, die sich als Zimmermädchen vorstellt, das Handy aus der Hand und übernimmt das Gespräch. Gerade erst hätte der Gast ausgecheckt. Das Zimmer wäre nicht fertig. Sie könnten erst nach 16 Uhr kommen. Wenn ich wolle, könnte ich stornieren. Ich würde warten, sage ich und stornieren käme für mich mit dem Rad nicht infrage. Er sagt, dass ich in die Albergo, ein paar 100 m weiter gehen solle. Das tue ich. Auf den ersten Blick ok, aber nicht vergleichbar mit der gebuchten Unterkunft. Die Armatur in der Dusche fällt auseinander. Schimmel an den Wänden und ein unerträglicher Geruch nach Kloake. In der Küche die Schränke mit Fettfilm überzogen, die Griffe eklig. Hier will ich lieber nichts benutzen. Ich schreibe an den chef, dass es einen großen Unterschied im Vergleich zum Angebot auf booking gibt. Er antwortet mir, dass das Hotel normalerweise noch teurer ist und ich es ausnahmsweise für 50 € haben könnte. Ich fühle mich betrogen. Booking hat ein offenes Ohr für solche Geschichten.
Pegolotte ist ein kleiner Ort, an der Kreuzung zweier Hauptstraßen. Er rühmt sich als Weinort. Vor der Stadt Weinfelder, drinnen leerstehende oder geschlossene Geschäfte. Es ist Mittwochnachmittag. Eine hübsche Kirche steht in der Mitte des Orts, daneben ein ebenfalls geschlossenes, vielversprechend aussehendes Café. Auf der anderen Seite eine Enoteca mit neuen Sitzgarnituren aus edlem Holz und Stahl auf der Terrasse. In der Vinothek werden Weine der Region aus Zapfhähnen angeboten. Ein junger Mann lässt sich zwei große Plastikkanister abfüllen. In den Regalen stehen Weine aus ganz Italien. Die Wirtin serviert mir etwas Käse mit Brot und einen sehr leckeren roten Cabernet aus der Region. Kunden seien vorwiegend Einheimische, erzählt der junge Mann.

Morgens schaue mir erst die vielversprechend aussehende Pastisserie an, die mir am Vorabend von dem Kunden in der Enakotek empfohlen wurde. Viele frühe Arbeiter sitzen dort. Die Handwerkerautos stehen vor der Tür. Die Auslage ist verlockend. Und die Verkäuferin auch. Alles süß. Interessanterweise findet die Verkäuferin nur die Pralinen und Kekse süß, nicht die Stückchen.
Noch vor zehn starte ich. Etwas Bedenken wegen der Kälte und 70 km. Schnell fahre ich mich warm. Der russische Wind treibt mich von hinten. Also doch etwas Gutes aus Russland. Es läuft super. Oft kann ich auf Radwegen fahren, sonst meistens Nebenstraßen oder auch auf Flussdämmen. Ich befinde mich im Po-Delta und bin vollständig zufrieden mit meiner Fahrt. Flach, Rückenwind, schnell. Die Sonne ist kräftig und hält mich warm. Hauptsache in Bewegung bleiben. Viel zu früh werde ich ankommen. Kurz vor Ferrara ein Anruf. Ich kann ab September einen Integrationskurs übernehmen. So kann ich völlig entspannt weiterreisen. Es wird teuer. Die Preise scheinen täglich zu steigen.
Die Innenstadt von Ferrara ist verkehrsberuhigt und voll mit jungen Leuten. Taxis, Busse und Anlieger fahren trotzdem. Und Fahrräder natürlich. Mein Hotel liegt in der verkehrsberuhigten Zone. Umständlich hatten sie geschrieben, wie man es als Autofahrer macht. Zum Glück braucht mich das nicht zu interessieren. Das Hotel krönt diesen wunderbaren Tag. Manchmal gibt es tolle Sonderangebote bei booking für Stammkunden. Und das habe ich heute erwischt. Mein Zimmer hat drei Ebenen. Wie eine kleine Wohnung, mit Esstisch, Sofa und Bett. Ich kaufe mir mein Abendessen und bleibe den Rest des Nachmittags und den Abend im Hotel, obwohl Ferrara eine interessante Stadt ist. Komische Straßen gibt es in Ferrara, die ziemlich radfahrerfeindlich sind: Wirklich schönes historisches Kopfsteinpflaster. Aber Radfahren kann man dort nicht. Radfahrer und Fußgänger arrangieren sich so gut es geht auf den Bürgersteigen. Und die Autos kämpfen auch mit den spitz aus dem Boden herausragenden Steinen.

Ungern verlasse ich dieses wunderschöne Hotel. Die Frühstücksräume waren zwar etwas kalt, obwohl sie sich wirklich Mühe gegeben haben, den Raum mit Heizlüftern zu wärmen. Das Licht an diesem Tag ist anders. Nicht mehr so klar. Und es scheint ein bisschen kälter, 4°C mittags. Lange geht es durch die Stadt und an der Hauptstraße entlang. Von Ampel zu Ampel. Zwar auf dem Fahrradweg, aber anstrengend, weil man höllisch auf die kreuz und quer laufenden Fußgänger aufpassen muss. Dann biegt der Weg ab und verläuft auf Nebenstraßen. Irgendwann biegt er in ein Naturschutzgebiet und von da ab wird es schwierig. Mehr als 10 km fahre ich auf unbefestigten Wegen. Landschaftlich zwar schön, aber richtig vorwärts komme ich nicht. Die Taschen hüpfen und abends ist die Schraube an der einen Tasche wieder rausgerissen.
Abends sitzen viele Italiener in den Bars. Sie nehmen hier einen Aperitif und eine Vorspeise. Apricena. So gehe ich in eine Bar zum Apricena.
Nun also Stadtbesichtigung. Ständig versagt das Internet und ich kann mich nicht richtig informieren. So laufe ich neugierig und ziellos unter den Arkaden durch die Stadt. Eine Kirche links, eine Kirche rechts. Bis ich an dem hohen Turm mit über 400 Stufen vorbeikomme. In der Mitte der Stadt, auf dem Piazza Maggiore laufen Straßen und Fäden zusammen. Hier ein Straßenmusiker, dort Iraner, die Bilder von jungen ermordeten Iranern auslegen, um für die Rückkehr der Schahfamilie zu demonstrieren. Ein Plakat fordert von der EU, in Verhandlungen mit einem Shahnachfolger einzutreten. Es sind nicht viele, aber unpassend zur Forderung, dass der Schah zurückkehrt, singen sie Bella Ciao. Später gibt es noch Demonstranten, die für die Freilassung von Julian Assange demonstrieren, daneben schwarz gekleidete junge Menschen, die gegen den Faschismus eintreten.
Das alles in historischem Ambiente vor dem größten Rathaus der Welt sowie vor dem Neptunbrunnen, mit dem Neptun, dem der Penis auf Anweisung des Bischofs gekürzt wurde und vor der größten Kirche Italiens, die nicht von Rom, sondern von der Stadt Bologna gebaut wurde. In der Kirche gibt es ein Focaultsches Pendel, einen Teufel, der Mohammed in der Hölle beherbergt, was zu Drohungen von Islamisten geführt hat. Und das 500 Jahre nach Entstehung des Gemäldes! So ist vor der Kirche Militär stationiert, um die Kirche und ihre Besucher zu schützen. Des Weiteren findet sich in der Kirche ein Sonnenjahr, das längste der Welt. Je nach Sonneneinstrahlung wird ein anderer Tag durch den Sonnenstrahl angezeigt.
Bologna rühmt sich seiner vielen Türme, von denen etliche schon abgebaut wurden. Sie dienten dem Schutz vor äußeren Feinden, aber auch zur Überwachung der Bürger, die sich in etlichen Familienfehden, wie sie in Romeo und Julia bespielt werden, ergingen. Die vielen Arkaden haben ihren Ursprung in der Wohnungsnot der Studenten der ältesten Universität Europas aus dem 11. Jahrhundert. Wegen Platzmangel wurden die Arkaden über die Bürgersteige gebaut und damit entstanden neue Stockwerke für die Studenten. Erst später wurde das Konzept auf die gesamte Stadt ausgedehnt. Sie schützen gleichermaßen vor Sonne und Regen. Nur jetzt im Winter halten sie die wärmenden Sonnenstrahlen fern.
In der ältesten Osteria gibt es auch heute ausschließlich Wein. Alles andere bringen sich die Gäste mit. Das ist der ursprüngliche Gedanke der Osteria. Es gibt etliche Feinkostgeschäfte, die die Produkte der Emilia Romana anbieten: Parmaschinken, Salami, Parmesan, Wein, Balsamicoessig sowie Tortelloni und andere Getreide- und Nudelprodukte. Auch die süßen Kuchen gehören dazu.

Das Beste, was man in Bologna machen kann, ist, sich in eine Bar setzen, Kaffee, Aperitif oder Wein trinken, dazu eine Kleinigkeit essen und die Szenerie beobachten.
In Bologna ist es noch kalt. Nur um die Mittagszeit ist es angenehm, in der warmen Sonne zu sitzen. Doch das stört die Bologneser nicht. Sie sitzen draußen, mit oder ohne Gaswärme oder drinnen mit Winterjacken in ungeheizten Räumen.


Ist Bologna eine Fahrradstadt? Am Wochenende ist die Innenstadt für Autos und sogar für Busse gesperrt. Das ist bei den Menschenmassen, die sich schon im Februar in Bologna aufhalten, auch notwendig. Seit sieben oder acht Jahren wäre es so. Anfangs hätten die Geschäftsleute Bedenken gehabt, aber die hätten sich längst als unberechtigt herausgestellt, erzählt die Stadtführerin. Die Straßen und Farradwege sind nicht perfekt. Viele Fahrradwege sind auf die Gehwege aufgemalt – mit allen Konsequenzen: Unebenheiten, nur schmale Radstreifen in jede Richtung und ein hin- und her von einer auf die andere Straßenseite. In der historischen Innenstadt sind die Straßen aus Blocksteinen. Entsprechend holprig ist die Fahrt auf dem Rad. Beim Verlassen der Stadt fahre ich bald zehn Kilometer auf „Fahrradwegen“, die ursprünglich mal Gehwege waren. Jogger, Walker, Spaziergänger mit und ohne Hund müssen sich nun die Wege mit den Radfahrern teilen.

Die Fahrt nach Forli ist am Sonntag ein großes Vergnügen. Rückenwind und leicht bergab. Es gibt ein paar harmlose Steigungen, die eher Spaß machen als dass sie anstrengen. Radrennfahrer kommen einzeln oder in Gruppen grüßend entgegen. Wochentags ist die Strecke auf der Via Emilia nicht zu empfehlen. Zu viel Verkehr und zu viele Lastwagen. Ich muss mir Mühe geben, erst um 16 Uhr an der Unterkunft anzukommen. Die Unterkunft, ein B&B – „pandemiebedingt“ immer noch ohne Breakfast – ist schön. Vor allen Dingen ist es warm und das Bett hat unter dem Laken eine warme Decke. Erst jetzt merke ich, wie erschöpft ich bin. Auf der Suche nach einem Restaurant gerate ich ins Falsche. Die Atmosphäre ist speziell. Das Essen schlecht. Trotzdem bleibe ich zwei Stunden sitzen.

Um Punkt zehn radele ich montags in Forli los, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass ich noch ein Frühstück brauche. Es ist kalt. Bloß nicht im Schatten anhalten. So dauert es eine Weile, bis ich mich entschließe, an einer Bar einen Kaffee mit Croissants zu mir zu nehmen. Draußen rubbelt ein Mann an einem Rubbellos. Seine Frau sagt etwas zu mir auf italienisch. Geldverschwendung, interpretiere ich. Die montägliche Fahrt von Forli nach Rimini ist stressig und mühselig. Mittags bin ich mit Stefan, einem Radler aus meinem Radfahrverein dem RC Hattersheim verabredet. Nach dem Frühstück ist schon klar, dass es eng wird. Radweg rechts, Radweg links, dazwischen die am Montag stark befahrene Via Emilia. Immer wieder Stopp für die Straßenkreuzung. Einen falschen Radweg benutzt und schon stehe ich im Nirwana. Die Via Emilia ist hier schmal und stark befahren. Es wird ein schöner, aber acht Kilometer langer Umweg, der mich zeitlich noch weiter ins Hintertreffen bringt. Ich traue meinen Augen kaum, aber hier muss es vor ein paar Tagen stark geschneit haben. Schneereste am Straßenrand, schneebedeckte Berge. Leider kann ich die Fahrt nicht richtig genießen. Ich hetze und verfahre mich etliche Male an den Kreiseln. Die Durchfahrt durch Cesena ist zeitraubend. Erst um 14:30 Uhr bin ich am Treffpunkt. Vorher saut mir eine Matschstrecke das Rad ein. Nach 58 Kilometern ohne Pause habe ich Hunger. Ein Radler und Penne arabiata geben mir neue Kraft. Ab Rimini fahren wir zu zweit weiter.

Venezia Mestre- Pegolotte51 km80 hm
Pegolotte – Ferrara70 km130 hm
Ferrara – Bologna 57 km130 hm
Bologna – Forli66 km170 hm
Forli – Cattolica81 km140 hm
Gefahrene Strecken auf Komoot

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