Von Prag über Dresden heim

Das trübe montägliche Prag hat es schwer gegen das hochsommerliche sonntägliche Budapest vom Vortag. Auch Prag besticht mit seinen historischen Bauten und einer touristischen Innenstadt. Babuschkas, überdimensionierte Süßigkeiten in etlichen Shops, gefüllte Baumkuchen, Glas und Keramik, Holz, Weihnachtsschmuck sind die Hits der Prager Touristenzone. Die Stadt ist voll. Reisegruppen, darunter viele Schülergruppen laufen durch die Stadt. Dazu der Preisschock. In Serbien, Bulgarien und Rumänien war alles nur halb so teuer wie in Deutschland. Prag dagegen ist ein Vorgeschmack auf zu Hause. Etwas ziellos laufe ich durch die Stadt und bin plötzlich in der Nähe des Nationalmuseums statt an der Moldau. Für das Museum nehme ich mir ausführlich Zeit. Wie unterschiedlich doch die Sichten sind! Wird in Ungarn die Ausdehnung des ungarischen Reichs gefeiert, wird sie hier beklagt. Fast anekdotisch wirkt auf mich die „Angewohnheit “ der Tschechen, unbeliebte Staatsmänner aus dem Fenster zu werfen. Wenn diese „Angewohnheit“ nicht so grausame Folgen hätte. Drei solcher Aktionen hat es gegeben, mit jeweils unterschiedlichem Ausgang. War der Hinauswurf im Jahr 1419 im Sinne von Jan Hus erfolgreich, so stand er zwei Jahrhunderte später 1618 am Anfang des 30-jährigen Krieges, einer riesigen Katastrophe für Deutschland und Böhmen. Im 30-jährigen Krieg wurden die Herrschaftsverhältnisse und Grenzen in Europa blutig ausgefochten. Ein Lehrstück für die heutige Zeit. Die Beendigung des Krieges gelang erst, nachdem ein Vertrag geschlossen wurde, der die Interessen aller Beteiligten respektierte. Die Tschechen konnten sich durch die geografische Lage des Landes – eingekreist von Gebirgen – oft aus kriegerischen Auseinandersetzungen heraushalten. Der dritte Fenstersturz ereignete sich 1948. Jan Masaryk, zu dieser Zeit parteiloser Außenminister, wurde tot unter seinem Badezimmerfenster gefunden. Die Umstände wurden nicht aufgeklärt.
Bewegend die Lebensschilderungen der Schauspieler, die sich während der Zeit der Besatzung entscheiden mussten, gegen die deutschen Besatzer zu opponieren oder zusammenzuarbeiten. Die ersteren riskierten ihr Leben, die letzteren bekamen nach 1948 Probleme wegen Kollaboration. Tschechien feiert die Zeit zwischen den Weltkriegen als Zeit der ersten Republik. Sie wurde durch die deutsche faschistische Besatzung beendet. Nicht erst der Krieg, sondern schon die Besatzung hat die Wende gebracht. Überhaupt finde ich die andere Sicht der osteuropäischen Länder auf den 2. Weltkrieg interessant. Es ist die Sicht von Völkern, die erorbert und besetzt wurden. Eine europäische Landkarte, die die Verschiebung europäischer Grenzen im Laufe des 20. Jahrhunderts im Zeitraffer visualisiert zeigt wie fragil die Kräfteverhältnisse in Europa waren und vermutlich noch sind.
Endlich gehe ich durchs Zentrum bis zur Moldau, mache eine Pause mit Blick auf die Burg. Dann gehe ich auf den Hügel, der sich auf der anderen Seite der Moldau erhebt. Ein schöner Blick von oben. Noch ein Wein mit Musik zum Abschluss.

Die letzten 220 km trödele ich in vier Tagen von Prag nach Dresden. Aus Prag heraus geht es an der Moldau entlang. Es fühlt sich mitteleuropäisch an. Der Radweg ist gut und ausgeschildert. Die Umgebung ist gepflegt. Ich stelle mich auf eine leichte Etappe ein. In der Nähe von Prag gibt es etliche Ausflugslokale, die heute am Dienstagmorgen jedoch meist geschlossen sind. Gute Voraussetzung zum Trödeln. Ein älterer Mann mit bepacktem Rad spricht mich an. Wir tauschen unsere Geschichten aus. Er ist Niederländer und ist aus Amsterdam. Er ist dort gestartet und hat Deutschland durchquert. Jetzt ist er auf dem Weg nach Berlin und möchte dann den R1 über den Harz zurückkehren. 2500 km wird er am Ende gefahren sein. Ihm geht es ähnlich wie mir. Unterwegs fühlt er sich getrieben und nimmt sich nicht die Zeit für ausführliche Besichtigungen. Er ist schneller unterwegs als ich. Zusammen fahren können wir nicht. Das leichte Fahren endet, als Felsen bis ans Ufer reichen. Hier gibt es über mehrere Kilometer einen steinigen und schmalen Wanderweg, der nah am Ufer entlang führt. In einem Kiosk mache ich eine kleine Pause. Viele Mountainbiker sind unterwegs. Später gibt es noch eine Stelle mit Waldweg zu bewältigen. Am Zusammenfluss von Moldau und Elbe beginnt ein gut ausgebauter Radweg, der schon fast ein bisschen langweilig anmutet. Mein Rad läuft nicht ganz rund. Jetzt eine Autowaschanlage! Seit Bulgarien sind die Self-Wash Anlagen Mangelware. Ich buche ein günstiges Zimmer am Radweg kurz hinter Melnyk. Als Melnyk auftaucht, bin ich froh darum. Melnyk liegt auf einer Anhöhe. Die Unterkunft ist in einem alten Anwesen. Früher war hier eine Gaststätte. Das Gebäude mit den Zimmern ist neu. Das Zimmer groß und hell. Im Innenhof stehen Tische und Bänke. Ein angenehmer Ort. Der Fahrradraum steht voller Räder. Zum Essen muss ich in den Nachbarort fahren. In einem Gartenlokal an der Elbe gönne ich mir ein richtiges Essen mit Schweinefilet. Im Gegensatz zu Prag erschwinglich. Zurück in meinem Zimmer falle ich todmüde ins Bett.

Das Frühstück bereite ich mir auf einem der Tische im Hof. Brot, Wurst und Käse habe ich mir gekauft. Der vorletzte Kaffee. Die Kette wird noch einmal gesäubert und geschmiert. Früher war hier ein Pub, eine Bäckerei, ein Metzger mit eigener Schlachtung. Die Vermieterin zeigt mir die Ställe. Im Jahr 2000 haben ihre Eltern das Anwesen übernommen. Der Vater hat 10 Jahre renoviert, bevor die ersten Gäste kamen. Dann hat er die Zimmer gemacht. Der neue Radweg hat das Geschäft angefacht. Das Restaurant könnten sie im Moment nicht betreiben, weil die Mutter ein Problem mit dem Knie hat. Nachstes Jahr wieder. Stolz erzählt die Tochter, dass sie alles aus Eigenmitteln finanziert haben und keine Kredite aufnehmen mussten. Nachdem ich die Kette gereinigt habe, habe ich schwarze Hände. Sie gibt mir Seife und zeigt mir das Waschbecken.
Die Radweg führt nun perfekt ausgebaut an der Elbe entlang. Nur ein kurzes Stück verläuft er abseits und über unbefestigte Wege. Es ist heiß. Ich trödele vor mich hin. Mountainbiker überholen mich. Teils in zügigem Tempo, den Akku verschämt im Täschchen versteckt. Nur das Surren und der leichte Tritt in aufrechter Haltung verraten das E-Bike. Heute habe ich keine 50 km zu fahren. Die erste Pause mache ich an einer idyllischen Stelle an der Elbe. Ein deutsches Pärchen sitzt schon da als würde der Platz ihnen gehören. Ich fühle mich wie ein Eindringling und setze mich abseits, um die völlig auf sich bezogene Frau nicht zu stören. Auch das Paar spricht kaum. Ich schmiere mir meine Brote. Wurst und Käse werden ein paar Stunden später bei der Hitze hinüber sein. Auch meine Dose Bier vom Vorabend wird später warm sein. Also trinke ich an diesem Tag vor 12 mein erstes Bier. Mit Wasser verdünnt. Die beiden fahren weiter. Sie grusslos, von ihm kommt ein ‚Auf Wiedersehen ‚. Ein vorbeifahrender Tscheche sieht mein Bier. Er guckt neugierig und ruft etwas mit Bier. Kommt nach kurzer Zeit suchend zurück. Nein, hier ist kein Kiosk. Langsam fahre ich weiter. Bloß nicht zu schnell. An der Fähre trinke ich eine Limonade bevor ich übersetze. Schaue mir erstmal die Fähre an. Die Fahrräder stehen in Fahrradständern. Es gibt kein Geländer. Hoffentlich geht das gut. Das Pärchen kommt schon zurück mit der Fähre. Vom Fährmann kommt ein ‚oh, oh, Frau‘. Er nimmt das Rad, stellt es in den Fahrradständer. Ich muss beim Rad bleiben und es während der Fahrt festhalten. Nach ein paar Kilometern bin ich in Leimeritz. Hier hatte ich mir schon morgens das günstigste Zimmer gesichert. Wie erwartet oben auf dem Berg. Und neben dem Gefängnis. Die umgebenden Häuser sind prachtvoll und renoviert. Eins schöner als das andere. Leimeritz hat eine wechselvolle Geschichte. Mal herrschten die Katholiken, dann die Protestanten. Die Bevölkerungsmehrheit mal deutsch, mal tschechisch und davon abhängig die politischen Verhältnisse.
Abends gehe ich in einem beliebten Lokal im Stadtteil essen. Einmal muss ich in Böhmen Gulasch mit Knödeln essen. Eine Weile bleibe ich sitzen und schaue den Menschen beim Leben zu. Ich bin ein bisschen angeschlagen und gehe früh ins Bett.

Amnächsten Morgen trödele ich weiter. Keine Eile. Nur 50 km sollen es heute werden. Der Track führt mich über die Fähre. Kurz überlege ich vorher, ob ich der ausgeschilderten Route folge. Ich bleibe auf meinem Weg. Das Gepäck muss ab. Und auf der anderen Seite wartet noch eine Treppe. Aber auch eine E-Bike Gruppe, die mir beim Herauftragen hilft. Sie kommen zwar mit ihren Rädern auf den Steg, aber nur um zu helfen, nicht um zu drängeln. Dann fahre ich ein paar Kilometer an der Elbe entlang. Sehr schöne Strecke. Huch! Schon wieder mit der Fähre hinüber! Nur, dass sie nicht fährt. Auf der anderen Seite fährt die E-Bike Gruppe vorbei. Es gibt keine Alternative. Ich muss zurück, auf die halbe Stunde warten, nochmal das Gepäck abmachen, nochmal 35 Kronen bezahlen. Der Fährmann hilft. Er wusste, dass ich zurückkomme! Dann suche ich den ausgeschilderten Weg und fahre weiter. 10 km mehr werden es auf diese Weise.
An einem Kiosk treffe ich die E-Bike Gruppe wieder. Sie fahren gerade weg als ich ankomme und begrüßen mich mit Hallo und Ahoj. Sie heben mein Rad und fragen, wie schwer es ist. Einer fragt mich nach meinem Alter.
Diese Etappe hat ein paar anstrengende kleine Steigungen. Mehrmals steige ich ab und schiebe völlig ehrgeizlos. Etliche Radler sind in beide Richtungen unterwegs. Viele Deutsche. Es geht an Ustí nad Labem vorbei. Erst ein großes Wasserkraftwerk neben einer Burg. Straßen, Eisenbahnlinien, Wohnsilos, hübsch farbig renoviert. Eine futuristische Brücke vor einem mächtigen Felsen. Fast architektonische Verschwendung. Erst kurz vorher kann man sie sehen. Ich steuere einen Campingplatz in Decìn an. Er liegt am Fluss unter einer Autobrücke. Es gibt bessere Plätze, aber ich bleibe. Was brauche ich mehr. Salat im Restaurant, Eis mit Erdbeeren zum Nachtisch.

Am Morgen gibt es Frühstück auf dem Campingplatz. Ein schöner Service. Dann packe ich in Ruhe meine Sachen und fahre los. Die Grenze von Tschechien ist bald erreicht. Am letzten Kiosk vor Deutschland esse ich eine Paprikawurst und trinke ein Radler. In Tschechien ist es völlig normal, morgens Bier zu trinken. Das erste, was der Kiosk-Mann mir anbietet, ist Bier. Als ich zögere, schlägt er Radler vor. Das Kiosk wird rege frequentiert. Tschechische und deutsche Radfahrer machen hier Pause. Zwei Kilometer weiter bin ich in Deutschland. Der Unterschied ist nicht wahrnehmbar. Nur 10 € für einen Erdbeereisbecher finde ich etwas viel. Der Blick auf die Felsen ist wunderbar. Ich fahre durchs Elbsandsteingebirge. Langsam, die letzten Kilometer genießend. Heiß ist es nicht. Aber schön sonnig, dazu leider Nordwind. Dann bin ich schon am Campingplatz. Er ist schön und strahlt eine hochsommerliche Stimmung aus. Ein junger Mann neben mir baut ein Hauszelt auf. Ich vermisse eine Familie. Die hat er nicht. Er ist zum Udo Lindenberg Konzert angereist. Der Campingplatz hat zwar eine große Küche, aber weder Töpfe noch Geschirr. Morgen kann ich kochen. Heute gehe ich nochmal essen. Der erste Versuch scheitert. Das Lokal ist voll, das Personal gestresst. Im nächsten Gartenlokal werde ich fündig. Gerade einen freien Tisch gibt es noch. Gerade sitze ich, da betritt ein Paar den Garten. Ich winke, dass sie sich zu mir setzen können. Die Bedienung kann ihnen keinen Tisch anbieten. Ein interessantes Paar in meinem Alter. Er ist gerade von einer Fahrradtour mit Freunden nach Prag und zurück wiedergekommen. Mit dem E-Bike sind das 4 Tage. Er erzählt von Touren an der Ostsee und in Deutschland. Hier gibt es Spargel. Es wäre der letzte dieses Jahr.

Ein heißer Tag. Die Hitze hat sich schon am Abend zuvor angekündigt. Ich bin sehr früh wach. Der letzte Tag meiner diesjährigen Radtour. Wehmut, aber auch Freude auf zu Hause erfüllt mich. Eine Frau aus den Niederlanden, sie ist gebürtig auch aus Rotterdam und hat ein Haus auf Texel. Sie wohnt und reist allein. Sie ist gerne allein und genießt es, frei ihre Entscheidungen treffen zu können. Nun hat sie sich mit dem 9 Euro Ticket auf den Weg gemacht, um Freunde besuchen und Dresden zu besichtigen. Nach dem Frühstück packe ich langsam meine Sachen zusammen, stelle mein Rad vor die Rezeption und gehe ins danebenliegende Schwimmbad. Aufgrund der sich anschickenden Hitze strömen viele Leute auf das Schwimmbad zu. Es ist viertel vor 10. Das Bad öffnet erst um 10. Die Reaktionen der Wartenden sind unterschiedlich. „Bei dem Wetter müssten sie früher öffnen“. „die haben kein Personal. Klar, so schlecht wie „die“ bezahlen.“ „Würdest du am Wochenende früher arbeiten wollen? Da möchte doch jeder ausschlafen.“ Bis ein Mann aus der Schlange ironisch vorschlägt, die Internationle zu singen. Das Bad füllt sich schnell. Ich schwimme ein paar Bahnen. Schwimmen! Was ist das? fragt mein Körper. Die paar Bahnen fallen mir schwer, obwohl ich mich danach gesehnt hatte, zu schwimmen. Noch ein bisschen Liegewiese. Dann hole ich das Rad und fahre in die Stadt. Es ist mühselig. Heiß und starker Gegenwind. Die Kette krächtst. Am blauen Wunder hole ich Geld, kaufe etwas Gemüse auf dem Markt, der gerade abgebaut wird. Versuche essen zu gehen. Der Preisschock, der mich erfasst, ändert den Plan. Es reicht nur noch für eine Rhabarberschorle. Das Eis, die Kugel zu 1,70 Euro wird zum Luxus. Ich genieße es im Schatten der Brücke und schaue den Kindern beim Spielen zu. Dann quäle ich mich weiter bis zum Bahnhof. Dort treffe ich auf einen Radler aus einem Nachbarort von mir, der von Hamburg nach Dresden geradelt ist. Dieses Jahr erstmalig mit dem E-Bike. Er ist begeistert. 100 km kann er so am Tag radeln. Er passt auf mein Rad auf und hilft mir in den Zug. Wir haben das selbe Ziel. Er kommt auf die Masken zu sprechen. Ungläubig schaut er, als ich erzähle, dass in ganz Südosteuropa keine Masken mehr getragen werden, auch nicht in den Verkehrsmitteln. Ob ich denn Corona gehabt hätte? Nein, sage ich. Und wenn habe ich es nicht gemerkt. Aber es sollten doch alle bekommen…..
Der ICE ist relativ leer, pünktlich und angenehm klimatisiert. Am Frankfurter Hauptbahnhof kommt meine S-Bahn in dem Moment als ich den Bahnsteig erreiche. Glück! Es ist die verspätete vorherige. 6 Fahrräder drängeln sich hinein. Drei steigen nach einer Station wieder aus. In Hofheim ist der Zug fast leer, aber der Bahnhof ist voll. Die Welt zu Gast in Hofheim. Ein Gefühl wie auf einem internationalen Festival. Der Aufzug ist in Reparatur und so trage ich ein letztes Mal Rad und Gepäck in drei Etappen die Treppe hinunter.

2 Kommentare zu „Von Prag über Dresden heim

  1. Hallo Sabine, vielen Dank dafür, dass du uns wieder mit auf Reisen genommen hast und natürlich, herzlich Willkommen zu Hause. Es war wie immer sehr spannend und etwas Fernweh ist auch immer dabei. Liebe Grüße Elke und Gerd

    Like

Hinterlasse einen Kommentar