Plötzlich in Prag

Die Fähre legt um 7 ab. Schnell aufstehen, Zähne putzen und los. Ich bin traurig, wegfahren zu müssen. Das Delta mit seinen frei lebenden Tieren ist ein ganz besonderer Ort. Niemals wäre es in Deutschland möglich, das Kühe, Pferde, Hunde durch die Straßen laufen. Die Tiere leben neben den Menschen. Die Menschen respektieren die Tiere. Noch vier Stunden genieße ich die Fahrt durchs Delta. Der Sulina Arm ist der Hauptarm. Wie an der Schnur gezogen, fahren die Frachtschiffe nach Tulcea, um Getreide zu laden. Es gibt ein paar kleine Orte, an denen die Fähre anlegt. Man hätte in Crişan noch ein paar Tage bleiben können. Der Ort liegt mitten im Delta. Sicher einer der interessantesten hier. Die Damen aus dem Museum sind auch auf der Fähre. Sie hatten eine Gruppenreise gebucht, die nicht zustande kam. So hat der Veranstalter ihnen eine Privatreise angeboten und sie haben sich den 16-tägigen Luxus gegönnt, zu zweit mit einem Führer zu reisen. Sie sind sehr zufrieden mit dem, was sie über Rumänien gelernt haben. Die letzte Stunde sitze ich mit Josine vorne und schaue aufs Delta. In Tulcea müsen wir mit dem Zug weiterfahren. Der Bahnhof ist direkt neben der Anlegestelle. Zwei Züge Richtung Constanţa am Tag verlassen den Bahnhof. Wir müssen vier Stunden warten. Die Zeit verbringen wir im Stadtpark am Weiher. Dann steigen wir in den völlig heruntergekommen Zug. Der Bahnsteig mehr als ein Meter unter dem Zugboden. Gemeinsam heben wir Räder und Gepäck in den Zug. Die Fahrräder müssen im Zug bezahlt werden. Der Schaffner berechnet 45 Lei – 9€ pro Rad. Das ist fast doppelt so teuer wie die Fahrkarte. Langsam zieht die Landschaft, durch die wir gefahren sind, an uns vorbei. Auch durch Babadag kommen wir, den kleinen Ort mit der schönen, kleinen, wirren Pension. Hunde rennen an den Stationen hinter dem Zug her. Lokomotivführer und Schaffner füttern die Hunde mit Brot. In Megdida muss Josine umsteigen. Sie fährt direkt nach Bukarest, während ich mir Constanţa anschauen möchte. Wir verabschieden uns herzlich. Wir haben zehn schöne und interessante Tage miteinander verbracht.

In Constanţa kann ich Rad und Gepäck nicht allein aus dem Zug heben. Ein Bahnarbeiter, hilft mir. Dann fahre ich in mein kleines Hotel, froh endlich duschen zu können. Noch ein kleiner Spaziergang durch das abendliche Constanza. Auf dem Rückweg ist es schon dunkel auf der in Bau befindlichen Fußgängerzone.

Das Kind im Nebenzimmer schreit herzzerreißend: „Nein, Papa “ Immer wieder schreit es wie in Panik. Der Hotelier und ich schauen uns fragend an. Dann wird das Schreien leiser. Der Hotelier erklärt mir auf der Karte, was in Constanţa sehenswert ist. Erstmal fahre ich zum Bahnhof, um zu klären, wie es weitergeht. Nach Budapest? Mit dem Fahrrad? Das geht nicht. In der DB App gibt es morgens um 7:27 Uhr einen Zug ab Braşov nach Budapest, der das Fahrradsymbol hat. Im Radforum lese ich, dass dies die einzige Zugverbindung von Rumänien nach Ungarn ist, bei der man ein Fahrrad mitnehmen kann. Also kaufe ich eine Fahrkarte nach Braşov – Kronstadt. Der Zug fährt am nächsten Tag um 10:30 Uhr. Ich brauche in Bukarest nicht umsteigen. So große Lust auf eine Besichtigung von Bukarest hatte ich sowieso nicht.
Dann fahre ich zum Ovidplatz mache ein Foto von Ovid und schicke es wie versprochen an enen Bekannten. Er steht vor dem eindrucksvollen archäologischen Museum. So richtig spektakulär ist das Monument nicht. Ovid war zum Ende seines Lebens von Kaiser Augustus aus ungeklärten Gründen nach Constanza verbannt worden. Es gibt unterschiedliche Spekulationen über die Gründe seiner Verbannung. Er verbrachte die letzten 9 Jahre seines Lebens in Constanza. Das Gefühl in einer Stadt mit jahrtausender alter Geschichte, wo Thraker, Bulgaren, Griechen, Römer, Türken residiert haben, will sich nicht einstellen. Überall wird gebaut. Bauruinen, und Baustellen sowie der Blick auf den Industriehafen rahmen die historischen Stätten, die im Einzelnen sehr spektakulär sind. Auch hier stehen Moschee, Synagoge, orthodoxe und katholische Kirche friedlich nebeneinander.

Am Yachthafen treffe ich Anne, die mit dem E-Bike von Berlin nach Constanţa geradelt ist. Gerade angekommen, ist sie voller Euphorie. Nun möchte sie ins Delta und dann über Varna und Burgas nach Griechenland. Auch sie erzählt von den netten, unbekümmerten Serben und der unglaublichen Armut, der sie in Bulgarien und Rumänien vor allem in den Gebieten, wo „Zigeuner“ leben. Wir überlegen gemeinsam, was daran bewahrenswerte Lebensart ist. Beim gemeinsamen Mittagessen tauschen wir unsere Erfahrungen aus. Danach trennen sich unsere Wege.
Später gehe ich in den archäologischen Park mit Ausgrabungen, die unter dem parallel laufenden Ferdinand Boulevard gefunden wurden. Bei den Griechen hieß die Stadt Tomis. Eine große Mall ist danach benannt. Der Name ist sehr populär. Auch die Tomisstraße verläuft hier. Constanza hat eine sehr schöne Promenade. Auch hier blickt man auf die vor dem Hafen wartenden Schiffe.

Die Linden fangen an zu blühen. In den Straßen spenden die Linden Schatten. Ein herrlicher Duft, der den beginnenden Sommer ankündigt.

Abends schreit das Kind wieder, als wäre es in höchster Not. Hin- und hergerissen zwischen mich nicht einmischen wollen und Sorge klopfe ich und frage, ob alles ok ist. Das Kind sitzt auf dem Boden. Der Vater liegt auf dem Bauch auf dem Bett. Die Mutter sagt, dass das Kind von der Reise übermüdet ist. Ich sage etwas zu dem Kind. Ob es so schreit und dass es das nicht soll. Das finden wir auch, sagt die Mutter. Danach höre ich, wie das Kind ohne Geschrei zu Bett gebracht wird. Am nächsten Morgen schaut die Mutter mich böse an und das Kind sagt immer wieder „Nein, Papa „, als die Mutter dem Vater das Frühstück ins Zimmer bringt.

Der Hotelier gibt mir noch etliche Tipps und ist sehr besorgt. Das Fahrrad hätte ich mit der Spedition ASIB schicken können. Für mich ist es zu spät. Aber es ist eine gute Information. Der Bahnsteig ist überfüllt. Die Reisenden schauen argwöhnisch auf meinen beladenes Rad. Beim Einsteigen drängeln alle vor. Der Platz im Zug ist knapp. Ein junger Mann bietet mir glücklicherweise Hilfe an. Das Rad hätte ich nicht alleine in den Zug heben können. Der Abstand zwischen dem Bahnsteig und dem Zug ist viel zu hoch. Viele ältere Reisende und Reisende mit schwerem Gepäck haben Probleme, einzusteigen. Einzig der unkomplizierte Zugang zum Bahnsteig über die Gleise gefällt mir. Der Zug ist überfüllt. Nicht nur ich stehe hinten auf der Plattform. Zwar habe ich einen reservierten Platz, aber es ist völlig unrealistisch, ihn zu erreichen und Rad mit Gepäck allein zu lassen. Der Schaffner steigt ein und verschwindet erstmal 10 Minuten auf der Toilette. Er müsste mir ein Radticket verkaufen, aber er winkt nur ab. In Bukarest wechselt das Personal. Auch der neue Schaffner verschwindet zunächst auf der Toilette. Dann verkauft er mir ein Ticket und verkauft auch Tickets an Personen, die ein Ticket vorweisen können. Ich frage einen jungen Mann danach. Er erklärt mir, dass er keinen Sitzplatz hat. Deshalb muss er bezahlen. Fast die ganze Fahrt über regnet es. Kurz vor Braşov geht es in die Karpaten und der Regen lässt nach. Der Zug leert sich und ich setze mich. Nicke sogar ein. In Braşov gehe ich sofort zum Schalter, um die Weiterfahrt zu klären. Die Frau am Schalter hat starke Zweifel, dass ich mit dem Rad bis Budapest mit einem Zug mitfahren kann. Es gibt abends gegen halb acht einen Nachtzug. Ich bin froh, kein Zimmer gebucht zu haben. Sie verkauft mir einen Schlafwagenplatz im Zweierabteil. Dort werde ich allein sein. Ich möchte mein Rad ins Abteil mitnehmen. Der Plan geht auf. Ich muss den Lenker querstellen. Dann passt das Rad durch den Gang und ins Abteil. Der ungarische Schlafwagenschaffner hilft mir. Der andere Schaffner, auch Ungar, ist komplett dagegen. Ich höre noch, wie er telefoniert, um zu fragen, was er mir berechnen soll. Da alles ins Abteil passt, ist es Gepäck. Glück gehabt! Gegen Morgen kommen die Grenzkontrollen. Ich habe tatsächlich geschlafen, obwohl die Pritsche sehr hart war. Im Zug reicht das Geschaukel, damit ich schlafe.

Frühstück im Speisewagen. Direkt nach der Grenze stehe ich auf. Das Land zwischen der ungarisch-rumänischen Grenze und Budapest ist flach. Der Himmel wolkenlos. Es wird ein heißer Tag. Ich bringe meine Sachen an die Tür. Der Schaffner sagt, dass wir noch eine Stunde fahren. Ich gebe ihm ein Trinkgeld. Beim Ausstieg hilft er mir. Wir kommen in Budapest Keleti an. Der Zug nach Prag fährt von Nyugati. Dazu muss ich 3 km durch die Stadt fahren. In allen Straßen sind die alten Häuser schön renoviert. Sehr hoch, so wie es mir in Berlin mal aufgefallen ist.
Bahnhof-Nyugati ist im Bau. Einige Fassaden sind schon renoviert und geben ein fantastischen Blick frei. Der Ticketverkauf ist derweil in einem Container untergebracht. Fahrplanmäßig fährt alle 2 Stunden ein EC mit Radmitnahme nach Prag. Ich schaue mal, wann ich ein Ticket bekommen kann. Ob ich einen Tag in Budapest bleibe. Im Container ist es heiß und laut. Die Dame am Schalter ist gestresst. Die Züge nach Prag fallen aus. Es gäbe keine Fahrer. Um 13:40 Uhr könnte ich ein Ticket bekommen. Es ist noch früh, aber schon sehr heiß. Ich fahre an die Donau, setze mich in ein Eiscafé und dann auf die Margaritenszeged. Die Brücke zweigt in der Mitte auf die große Insel ab. Sie beherbergt einen großen Park mit Sportplätzen und Schwimmbad. Lange Schlangen vor dem Einlass. Viele Menschen haben sich an diesem schönen Sonntag auf den Weg dorthin gemacht. Ich setze mich auf eine Schattenbank und schaue eine Weile dem Treiben zu. Ja, Budapest ist tatsächlich die schönste Stadt, die ich kenne. Hierhin möchte ich mal eine explizite Städtereise machen. Jetzt auf dem Rückweg fehlt mir die Gelassenheit. Am Bahnhof zurück sehe ich, dass die Abfahrtszeit des Zuges um eine halbe Stunde verschoben wurde. Es kommt noch mehr dazu. Schon aus Prag kommend hat der Zug Verspätung. Ein Mann spricht mich an. Er war mit im Nachtzug gewesen. Er sieht geduscht und umgezogen aus. Er wohnt in Atlanta/USA und arbeitet dort als Professor, kommt aus Siebenbürgen, wo seine Mutter noch lebt. Er spricht perfekt Deutsch. Er kommt mehrmals im Jahr nach Europa. Wenn ich hier ältere Leute frage, ob sie Englisch sprechen, stellt sich oft heraus, dass sie nur Deutsch als Fremdsprache können. Mit mehr als einer Stunde Verspätung fährt der Zug ein. Er wird von den Menschen regelrecht gestürmt. Ich warte bis der größte Ansturm vorbei ist und bringe dann Taschen und Rad in den Zug. Erst nachdem der Zug eine Weile fährt, bitte ich einen jungen Mann, mir zu helfen, das Fahrrad einzuhängen und suche mir einen Platz im Wagen. Der Wagen ist einer der wenigen, die klimatisiert sind. Damit habe ich großes Glück. Der Zug ist völlig überfüllt. In den anderen Waggons staut sich die Hitze. In Bratislava steigen Mountainbiker ein und fahren bis Brünn, wo sich der Zug leert. Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch, Russisch.. es ist ein buntes Sprachengewirr. Im Laufe der Fahrt kommen noch zwei Stunden Verspätung dazu, so dass es am Ende 3 Stunden sind. Ich bin erst um Mitternacht im Hotel.

Alles geht mir zu schnell. Damit habe ich nicht gerechnet. In 2 Tagen von Constanţa nach Prag. Josine schreibt, dass sie noch in Bukarest ist und mit Nahverkehrszügen an die Grenze fahren möchte, um dann mit dem Rad hinüberzufahren. Ich bin es selbst Schuld, dass ich schon wieder so hetze. Der gebuchte Zug in Dresden setzt mich unter Druck. Jedenfalls habe ich mehrere neue Projekte: Siebenbürgen, Städtereise Budapest sowie Varna und Georgien.

5 Kommentare zu „Plötzlich in Prag

    1. Berechtigte Frage. Ich hatte tatsächlich weder einen Platten noch sonst eine Panne. „Pannensichere“ Reifen ja. In der Praxis hatte ich auch mit pannensicheren Reifen schon Plattfüße.

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