Durch Serbien

Bevor wir in Novi Sad starten, kaufe ich die SimCard. So können wir uns unterwegs orientieren oder Zimmer buchen. Der Radweg verläuft nun Richtung Südosten auf der Hauptstraße. Es gibt über 15 km keine Wegweiser für den Radweg. Zunächst sind wir von Sremski Karlovci, einem netten kleinen Städtchen, begeistert. Wir machen spontan eine Pause. Genießen die noch feiertägliche Atmosphäre und die serbische Musik auf der Restaurantterasse. Weiter geht es auf der Hauptstraße bis zu der elle, an der wir uns nicht entscheiden konnten. Gravelroad oder Steigung. Die Straße entscheidet für uns. An der Stelle, an der wir hätten abbiegen müssen, versperrt die Leitplanke den Weg. Wir fahren die Steigung. Mit konstant 5% ist sie zwar anstrengend, aber trotzdem gut fahrbar. Plötzlich ist die Radwegausschilderung wieder da. Auf kleinen Sträßchen geht es weiter. Wir kaufen Erdbeeren an einem Straßenstand und machen eine Erdbeerpause. Uns überholt eine junge Niederländerin. Sie ist in Rotterdam gestartet. Sie freut sich Radfahrer zu treffen. Übernachten möchte sie auf einem Campingplatz kurz vor Belgrad. In dem Moment bin ich noch nicht sicher, es soweit zu schaffen. Aber der Straßenbelag wird besser und der Gegenwind schwächer. So kommen wir schneller voran und steuern den Campingplatz an. Als wir ankommen, ist Josine nicht da. Sie kommt später und wir gehen zusammen essen. Josine möchte ans schwarze Meer. Sie wollte genau wie ich mit dem Schiff von Varna nach Georgien. Daraus wird nun wegen dem Krieg nichts. Sie hat 8 Monate Zeit und weiß noch nicht, wie sie weiterfàhrt. Seit März ist sie unterwegs.

Der nächste Tag beginnt mit einem schlechten Ereignis. Mein Handtuch und die Waschsachen werden aus dem Waschraum gestohlen. Ich hatte das Handtuch dort gelassen, damit es trocknet. Auf dem Video der Rezeption sehe ich, wie zwei Frauen meinen Waschbeutel davon tragen. Aber ich bin nicht energisch genug. Der Rezeptionist vergrößert die falsche Person und ich protestiere nicht. Eine Gruppe von deutschen Wohnmobilfahrern ist auf dem Campingplatz. Sie bereisen gemeinsam in einer organisierten Reise von draculatours den Balkan. Natürlich können sie sich nicht vorstellen, dass jemand von ihnen etwas wegnimmt. Ich vermute, das es sich höchstens um ein Versehen handelt. Dieser Verlust wird teuer. Mehr als 70 Euro kostet der Ersatz.
Trotzdem haben wir morgens eine gute Zeit. Wir sitzen mit Josine zusammen. Es gesellt sich noch ein Schweizer dazu, der mit dem Wohnmobil unterwegs ist. Wir fahren nach Belgrad, um dort einen kurzen Tag zu verbringen. Die Grünanlagen an der Donau sind großzügig und gut besucht. Auf der Donau reihen sich die Restaurantschiffe aneinander.
Wir treffen uns mit Josine im Eiscafé und gehen dann an die Save. Das Leben an der Save ist eine Scheinwelt für Reiche. Ähnlich wie in Frankfurt auf der Fressgass. Nur dass in Frankfurt alles viel gediegener ist. Das Donauufer, das wir am Morgen passiert haben, spricht mich mehr an. Viel grün und ’normale‘ Leute. Belgrad ist im Bau. Es gibt das alte Belgrad um die Burg und das neue Belgrad an der Save. Die Save fließt hier in die Donau. Hohe Wohntürme sind auf der anderen Seite des Flusses im Bau. Von der alten Stadt aus sieht man an den Terazije auf den neu entstehenden Stadtteil. Stefan Nemanja, der Gründer des serbisch-mährischen Reiches, erhebt sich in einer Höhe von 26 m vor dem alten Bahnhofsgebäude. Dieses Denkmal hat zu einer Kontroverse zwischen Nationalisten und ihren Kritikern in Serbien geführt. In so kurzer Zeit kann man Belgrad nicht ergründen. Im Belgrader Raum siedelten schon 7000 Jahre v.C. Menschen. Zudem treffen hier in Belgrad unterschiedliche Kulturen aufeinander. Hier treffen sich Orthodoxe mit Muslimen und Katholiken. Ich nehme mir vor wiederzukommen und Zeit mitzubringen. Diesmal ist unser Ziel, in drei Wochen am Schwarzen Meer zu sein.

Noch einen Tag geht es am Donauradweg entlang. Wir kommen gut aus der Stadt hinaus, über die Donaubrücke. Die Donau ist sehr breit hier. Dann führt der Radweg über einen unbefestigten Deich, bevor es auf der Hauptstraße weiter geht. Mit der Zeit lässt der Verkehr nach. Dieser Abschnitt ist angenehm zu fahren, bevor es auf einen Put geht. Srečan Put – steht auf den Schildern am Ortsausgang. Gute Reise. Ein Put ist eine Fernstraße, die stark von LKWs frequentiert wird. Es ist sehr gefährlich hier zu fahren. Einmal halten wir an, weil wir uns von dem Schock eines viel zu dicht vorbeifahrenden LKWs erholen müssen. Die Straße führt zurück auf die Südseite der der Donau nach Smederovo. Wir verlassen hier den Donauradweg und den Eurovelo6. Nachdem wir die Donau wieder überquert haben, ändert sich die Straße. Sie ist schlechter, breiter, aber weniger befahren. Südlich der Donau verlassen wir die Vojvodina. Die ungarischen Ortsbezeichnungen fehlen. Hier wäre alles vermüllt, sagte am Samstag die Serbin, die uns spontan eingeladen hatte. Eine Müllhalde sehe ich. An mehreren Stellen habe ich den Eindruck, dass die Müllhalden abgeräumt wurden oder werden. Nun fahren wir auf dem Osteuropaweg – dem Eurovelo 11. Unser nächstes großes Ziel ist Sofia. Nach 6 km verlässt der Radweg die Fernstraße. Es geht durch serbische Kleinstädte und Dörfer. So wird es nie langweilig. Es gibt viel zu sehen. Paläste neben Hütten. Zäune in allen Variationen springen ins Auge. Manchmal sind die Zäune mit Löwenköpfen verziert. Kreative Serben! Die Vielfalt der Formen und Muster verblüfft. Viele Autofahrer hupen freundlich und winken. Manch einer spricht uns spontan an und fragt, wohin es geht. In Cafés bezahlen Gäste spontan unsere Getränke. In jedem Ort gibt es kleine Geschäfte für den täglichen Bedarf. Vor den Geschäften befinden sich teils die Auslagen eines Baumarkts. In Jagodina thront Jovanka auf der Weltkugel. Eine Literaturfigur, die vor 200 Jahren die Welt umrundet hat. Ein Autofahrer hält spontan am Kreisel und erklärt die Statue. In Aleksinac spricht uns ein Mann an, der sich gerne mit uns unterhalten möchte. Er schickt uns in die Fußgängerzone ins Café und kommt dazu. Er freut sich, deutsch sprechen zu können. So richtig verstehe ich nicht, was er uns sagen möchte. Er ist Schauspieler und betreibt einen Literaturclub. Am Ende möchte er für uns bezahlen, weil die Serben den Deutschen ewig dankbar wären, weil sie die Türken vertrieben hätten. Ich weiß nicht, in welchem Jahrhundert er gerade ist. Später lese ich nach. Im türkisch-serbischen Krieg 1876 – 1878 haben die Österreicher und die Russen an der Seite der Serben gegen die Türken gekämpft. Österreicher, Deutsche – da macht er keinen Unterschied. Er erzählt uns von Serben, die in Deutschland wohnen und von Deutschen, die in Alexinac waren. In der Fußgängerzone betteln Zigeuner. Wir möchten, dass sie uns in Ruhe lassen. Er gibt ihnen Geld und sagt, dass die Zigeuner geschützt sind.

Bis zur bulgarischen Grenze steigt die Strecke auf über 500 m an. Jeden Abend haben wir ein paar Höhenmeter geschafft. Es geht meist moderat hinauf. Ein paar kleine kräftige Steigungen gibt es dennoch zu bewältigen. Nach solch einer Steigung lädt uns ein Mann, der mit drei Dosen Bier auf dem Heimweg vom Einkauf ist, zu sich ein. Das scheinen nicht seine ersten an diesem Tag zu werden. Es kostet uns etwas Mühe, die Einladung abzulehnen. Mit Bedauern und Lachen gelingt es.

Niš ist Serbiens drittgrößte Stadt. Die alte Burg und Befestigungsanlage an der Nišava ist das historische Zentrum der Stadt. Heute dient die Burg mit Museen, Theater, Park und Gastronomie als Kultur- und Freizeitanlage. Über eine Brücke ist dieBurg mit der Innenstadt und der Flusspromenade verbunden. Sowohl die alte Geschichte als auch die jüngere ist es wert angeschaut zu werden. Vor der Stadt ist ein relativ neues Denkmal zum Andenken an den 7. November 1944, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die rote Armee mit Kränzen geschmückt. In Niš wurden zwischen 10 und 12 Tausend Menschen in einem deutschen KZ umgebracht. Nach dem einzig gelungenen Ausbruchsversuch aus einem deutschen KZ, bei dem 100 Gefangene entkamen, erschossen die deutschen Faschisten 800 Menschen.

In Niš biegt der Eurovelo 11 ab und wir fahren weiter Richtung Grenze. Lange fahren wir auf einer Ausfallstraße, bevor wir auf eine Straße abbiegen, die uns durch ein schönes Gebirgstal, durch das die Nišava, die in Bulgarien in der Stara Planina entspringt und in die Morava mündet, führt. Wir fahren kontinuierlich nach oben. Am Straßenrand sind hin- und wieder verlassene Restaurants und Hotels zu sehen. Die Autobahn hat offensichtlich nicht nur den Verkehr von dieser Strecke genommen. Für Radfahrer ist die Straße ein Geschenk. Sie ist größtenteils wenig befahren und in gutem Zustand. Nur um zwei Kieswerke herum, fahren schwere Laster. In einem dunklen Tunnel hören wir einen Laster hinter uns und drängen uns fast panisch an die Seite. Es geht alles gut. Die anderen Tunnel sind kürzer. Und dann kommt doch noch eine brutale Steigung. Bis zu 11% geht es hoch. Ich entscheide mich sehr schnell, hinaufzuschieben, während Patricia hoch fahren kann. Doch nach dieser Steigung sind wir beide platt und quälen uns die letzten Kilometer bis nach Pirot, jede kleine auftauchende Steigung verfluchend.
Pirot ist größer und lebhafter als erwartet. Wir halten am Markt, der um diese Zeit schon abgebaut ist – das alte Zentrum. Abends gehen wir im neuen Zentrum essen. Obwohl es Montag ist, ist lebhafter Betrieb. Die Bars füllen sich zu späterer Stunde. Serben brauchen keinen Anlass, um zu feiern, sagte uns jemand unterwegs. Auf dem Platz wird auf einer Bühne ein Theaterstück aufgeführt. Wir bleiben kurz stehen. Ein Mann, der eine Frau mit sinnlosen Anordnungen drangsaliert. Er hat eine rote Fahne in der Hand. Leider können wir nichts verstehen.

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