Am Balkangebirge entlang

Letzte Stadt in Serbien ist Dimitrovgrad. Von dort fahren wir mit dem Zug nach Sofia. De Radstrecke würde über die Autobahn hinauf führen. Das ist uns zu gefährlich. Ein Blick aus dem Zug auf die Autobahn gibt uns recht. Sie ist im Bau und wird einspurig im Gegenverkehr geführt. Viele LKWs sind unterwegs und es ist sehr eng. Alles ist anders bei den Bulgaren. Die ersten, die wir treffen sind nicht hilfsbereit, nicht gut gelaunt und nicht freundlich. Erstmal eine Umstellung. Wir können in Dimitrovgrad keine Fahrkarte kaufen. In Bulgarien kommt der Schaffner und es ergibt sich eine lustige Diskussion darüber, ob wir ein Ticket oder kein Ticket (noticket) haben möchten. Ticket gibt es in bulgarischer Währung, die wir nicht haben und No-Ticket für 10 Euro.


Sofia ist zunächst irritierend. Der Bahnhof ist im Bau und schon kaputt. Er erscheint überdimensioniert. Es gibt kaum Züge und wenig Menschen. Wir sind in einer europäischen Hauptstadt! Die Menschen wirken auf eine merkwürdige Art arm und traurig. Das ändert sich auch nicht auf dem Weg ins Hotel. Die Bürgersteige sind so kaputt, dass sie mich an Argentinien erinnern.

Sofia entfaltet seinen Charme hinter den Kulissen und in den Parks. In den vielen kleinen Straßen der Innenstadt gibt eine Menge zu entdecken. Kleine Geschäfte, Restaurants, Bars – innen ist alles anders: Modern und in gutem Zustand. Die Stadt wird von großen Parkanlagen durchzogen. Es gibt einen großen alten Park um das Theater herum und einen neuen am Ende des Vitosha Boulevards, der sich nach Osten Richtung Vitosha Gebirge erstreckt, gibt es eine neue Parkanlage. Fährt man noch ein bisschen weiter, ist man schon im Gebirge, das Wahrzeichen von Sofia und sein wichtigstes Naherholungsgebiet. Aus der Stadt sieht man die im Mai noch schneebedeckten Berge des Gebirges.

Eine Moschee, eine orthodoxe Kirche und eine Synagoge stehen in Sichtweite zueinander im Zentrum und prägen das Stadtbild. Dazu kommen Ausgrabungen aus römischer Zeit, die beim Bau der Metro entdeckt wurden und neben der Metrostation öffentlich zugänglich sind.



Abends gehen wir in einem kleinen Restaurant im Viertel essen und weil es noch früh ist, noch in eine Bar. Es ist die Bar eines Programmkinos. Sie füllt sich am späteren Abend. Vor der Bar ist reger Betrieb. Leute holen Wasser aus fließenden Wasserhähnen. Eine Quelle, wie sich auf Nachfrage herausstellt. Wir kommen mit einer Polin aus Danzig, die seit 4 Jahren in Sofia lebt, ins Gespräch. Sie spricht fließend Englisch und erzählt, dass die Menschen das Wasser nicht aus Not holen, sondern weil sie ihm Heilkraft zusprechen Es ist eine heiße Quelle. Warmes Wasser strömt aus etlichen Wasserkränen. Erst kam sie wegen dem besseren Gehalt und ist dann wegen dem besseren Wetter geblieben.

Wieder ist es aufregend in einem neuen Land mit dem Rad zu starten. Bei der Planung der Route bin ich dem bulgarischen Radweg BP5 – Subbalkanstraße gefolgt. Die Realität ist wenig überzeugend. Aus Sofia hinaus führt der nicht ausgeschilderte Radweg zunächst über die Autobahn, bevor er auf Nebenstraßen abbiegt, um dann wieder die Bundesstraße 6 zu erreichen, der er über weite Strecken folgt. An den Stellen, an denen die alte Landstraße parallel läuft, ist das Radfahren angenehm. Auch ein Umweg über die Dörfer zwischen Kazanlak und Tvardista gibt einen interessanten Blick auf dörfliches Leben frei. Beim mit EU-Mitteln unterstütztem Bau der neuen Fernstraße ans Schwarze Meer wurde leider der begleitende Radweg oder Radstreifen vergessen. Der unbefestigte Seitenstreifen hätte auch für die Anlage eines Radstreifens genutzt werden können. Hier sieht man auch heimische Rennradfahrer, die wegen dem schlechten Zustand anderer Straßen kaum Gelegenheit zum trainieren haben.

Die Städte am südlichen Rand des Balkangebirges sind lebhaft, während die Dörfer wie ausgestorben wirken. Energieversorgung, stillgelegte Industrieanlagen, kleine Betriebe und Tourismus prägen das Leben. Wir haben keine Probleme, günstige Zimmer zu buchen. Die Hotels sind fast leer. Nicht nur die Touristen aus Russland, Rumänien und der Ukraine fehlen, erzählt eine Hotelbetreiberin. Stärker fällt der Ausfall der Businesskunden ins Gewicht. Viele kleinere Betrieb mussten in den letzten Monaten wegen den gestiegenen Energiekosten schließen.

In Kazanlak fällt uns ein mit einer bepflanzten Mauer eingegrenzter Häuserblock auf. An den Eingängen können wir hineinsehen. Unterernährte, schmutzige, dunkelhäutige Kinder, schmale Frauen mit ernsten Gesichtern sieht man dort im Staub. Männer sitzen am Rande zusammen. Ein Leben am Rande der Gesellschaft. Sie sind allgegenwärtig. Auch in anderen Dörfern und Städten. Wir sehen Männer auf Eselskarren, die an den öffentlich zugänglichen Quellen Wasser in Plastikcontainer abfüllen und heimbringen. Vor den Städten breiten sie Waren zum Verkauf auf Decken aus. Verkehrsschilder weisen darauf hin, dass die Durchfahrt mit Pferdekarren verboten ist. Außerhalb Europas würde man sagen, dass die Menschen in Slums leben und dass die Lebensbedingungen verbessert werden müssten. Innerhalb Europas haben wir kein Problem damit, dass Menschen sich mit betteln ihren Lebensunterhalt erwirtschaften. Über das Leben der „Zigeuner“ denke ich lange nach. Was ist schon freiwillig? Jeder lebt so, wie es die Gesellschaft, in die er geboren wurde, von ihm erwartet. Oft ist der Horizont noch enger. Dann begrenzen die familiären Erwartungen das Leben. Haben wir ein Recht über die „Zigeuner“ zu urteilen?

Schon in Sofia hatte ich ein Denkmal gesehen, dem nicht sehr viel Ehre entgegengebracht wurde. Auf Nachfrage in einem Kiosk, worum es sich handele, antwortete der junge Mann, es wäre ein Denkmal aus der sozialistischen Zeit. Die Menschen kämpften um ihr Leben. Er möge diese Art von Denkmal nicht. Und ja, der Standort würde das Denkmal abwerten. Ein ähnliches ungepflegtes Denkmal begegnet uns zwischen Karlovo und Kasanlak. Ein Familienvater ist in der Nähe. Mithilfe von google Übersetzer erklärt er mir, dass es sich um Kämpfer handelt, die das Land gegen die Faschisten verteidigt haben. Pavel Bansko wäre in diesem Kampf gestorben. Das Denkmal wäre allen Menschen aus der Gegend gewidmet, die im Kampf gegen den Faschismus gestorben sind. In Bulgarien herrschte von 1923 – 1944 ein faschistisches Regime. Er findet es traurig, wie in Bulgarien mit dem Gedenken an den antifaschistischen Kampf umgegangen wird und sagte, das Land wäre „rotten“. Das heißt soviel wie korrupt oder verfault. Leider sieht man Bulgarien diesen Zustand nicht nur an mangelnder Denkmalpflege an. Man gewinnt den Eindruck, dass der gesamte öffentliche Bereich außerhalb touristischer Zonen völlig heruntergekommen ist. Viele Bulgaren arbeiten in Griechenland, weil es in Bulgarien keine Arbeit gibt. Das ist tragisch. Bulgarien hat ein großes Potential an natürlicher Schönheit, Anbauflächen für Agrarprodukte und für die Gewinnung regenerierbarer Energien.

Fast jeden Abend gibt es eine positive Überraschung, wenn wir an unseren Unterkünften ankommen, die ich meist mittags über booking buche. In Pirdop sind die einzig freien Zimmer im Boutique Hotel Borova Gora einem Event- und Sporthotel auf einem Berg. Hundert zusätzliche Höhenmeter quälen wir uns nach einem anstrengenden Radtag hinauf. Das Hotel liegt mitten im Wald. Es scheint leer. Doch das Restaurant öffnet für uns. Da eine Graduiertenfeier vorbereitet wird, müssen wir auf der Terasse essen. Ein zauberhafter Platz vor einem Kiefernwald. In Kasanlak können wir im Khotel Roza auf einer Dachterasse voller Rosen mit Blick auf die Stadt sitzen. In Kazanlak wurden im 2. Weltkrieg beim Bau von unterirdischen Schutztunneln Zeugnisse thrakischer Kultur aus dem 5. – 3. Jh. v. Ch. gefunden. Die Wirtin zeigt uns Bilder von Wandmalereien und erläutert, dass dies Darstellungen einer Beerdigungseremonie seien. Der Tod wäre als Erlösung mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod gefeiert worden. Leider verpassen wir an diesem Abend aus Unkenntnis die Nacht er Museen. In Tvarditsa kommt schon Verzweiflung auf, als wir in die unbefestigte Straße zu unserer Unterkunft Gosti Mariana einbiegen. Hinter den Mauern ein hervorragend gepflegter Innenhof mit Garten, sehr schöne Zimmer und ein großer Frühstücksraum, um das Frühstück selbst zu bereiten.

Selbst auf den letzten Etappen nach Burgas haben wir noch etliche Höhenmeter zu üerw der We führt aus dem Gebirge mit seiner schönen Natur hinaus auf eine weite hügelige Landschaft. Trotz der Mühe, mit dem Gepäckrad die vielen Höhenmeter zu überwinden, lohnt es sich aufgrund der vielen Aus- und Einblicke diese Route zu wählen, um ans Schwarze Meer zu fahren. Es ist Anfang Mai schon so warm, dass man sich nicht wünscht, erst im Juni oder später im Sommer zu fahren. Der Abschnitt endet, wie er angefangen hat, mit einer Fahrt über eine zweispurige Schnellstraße ohne Seitenstreifen. In Burgas beginnt sofort der Radweg, der ein Teil des großzügigen Radwegenetzes in ist. Unser Ziel ist der Meeresgarten am Schwarzen Meer. Wir trinken unser Zielbier mit Blick auf das Meer.

2 Kommentare zu „Am Balkangebirge entlang

  1. Da bin ich aber froh dass ich nicht der Einzige bin, der Mal eine Strecke mit dem Zug überbrückt.
    Sicherheit geht vor, das habt ihr gut gemacht.

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  2. Slums… der Ami nennt sie „Trailer Park“, Park, der Ami ist immer einen Schritt weiter. …. Moment… was?… oh, der Ami hat kein „Milupa“ mehr, die Schweiz richtet eine Luftbrücke ein. Solange ihm nicht die Waffen ausgehen….

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