Alles im Liegen

Unscheinbar ist die Halle der Fahrradmanufaktur HP-Velotechnik. Spricht man Bewohner von Kriftel oder Hofheim auf die Fahrradmanufaktur an, wissen die meisten nicht, welch einen Schatz sie an der Grenze der beiden Gemeinden beherbergen. Mit modernster Technologie werden hier derzeit 15 verschiedene Liegeradtypen entwickelt und gebaut. Liegeräder liegen im Trend. Immer mehr Menschen fahren nicht nur aus gesundheitlichen Gründen ein Liegerad. Auch Berufspendler schätzen ihre Windschnittigkeit und Bequemlichkeit. Und Tourenradler entscheiden sich zunehmend dafür, im Liegen zu radeln, da sie so  keine Probleme mit dem Sitzen oder unkomfortablen Haltungen haben.

Am Anfang war der Prototyp

1992 wurden die Firmengründer Hollants und Pulvermüller mit diesem Modell Bundessieger beim Wettbewerb JUTEC – Jugend und Technik.  Aufgabe war, „einen neuen Fahrzeugtyp zu entwickeln, der die Vorteile von PKW und Fahrrad in sich vereinigt und eine echte Alternative zum Auto darstellt.“

Es entstand ein Liegerad mit Karosserie, das Wind und Wetter standhielt. Heute produziert HP-Velotechnik jedoch ausschließlich Liegeräder ohne Karosserie.

Die freie Konfiguration der 15 Liegeradmodelle führt zu mehr als Hunderttausend Kombinationen von Teilen. In der Halle befinden sich nur die Teile, sondern die gesamte Montage der Räder von der Entwicklung bis zum Versand findet hier statt.

Der Stoff, aus dem die Räder sind

Der Konstrukteur entwickelt Räder und Teile gemeinsam mit der Versuchsabteilung. Bevor der taiwanesische Rahmenhersteller einen Auftrag für einen neuen Rahmen bekommt, sind die Mitarbeiter der Entwicklungs- und Versuchsabteilung gefragt. Sie optimieren die Rahmen und probieren neue Geometrien aus. Ein Rahmen für ein Liegerad muss besondere Kräfte aushalten. In einem Labor zur Qualitätssicherung werden die Rahmen einer Dauerbelastung ausgesetzt. Dort sieht man, wie elastisch die Rahmen sind, wenn sie der Kraft nachgeben.

Bei der sogenannten Dauerfestigkeitsprüfung werden die Bauteile mehrere Tausend Mal Belastungen ausgesetzt, die den realen Einsatz um ein Vielfaches übersteigen.

Derzeit beschäftigt HP-Velotechnik 45 Mitarbeiter und 6 Auszubildende. Die Auszubildenden arbeiten hier in der Fertigung. Hier beginnen die Auszubildenden in der Regel ihre Ausbildung. Später durchlaufen sie die verschiedenen Abteilungen unserer Produktion von der Vormontage über Lager und Versand bis hin zur Endmontage, wo sie dann weitgehend eigenständig in der Lage sind, Räder und Pedelecs zu bauen.Ihr Ausbilder war früher Physiklehrer und auch mit Fahrrädern kennt er sich aus. Er ist Rennrad gefahren. In der Lehrwerkstatt leitet er die Auszubildenden bei der Montage der Teile an. Drei Jahre dauert die Ausbildung zum Zweiradmechaniker.

Präzisionsarbeit ist das Aufbereiten der Rahmen, nachdem sie vom Pulverbeschichter kommen. So wie hier beim Ausreiben der Lagersitze. Neben den Standardfarben können sich die Kunden ihre Wunschfarbe aussuchen. Die Rahmen werden in verschiedenen Betrieben mit einer langlebigen farbigen Pulverbeschichtung versehen.

An diesem Montageplatz arbeitet die einzige Frau in der Werkstatt. Sie hat noch Kolleginnen in der Konstruktion und der kaufmännischen Abteilung. Die Mitarbeiter bilden ein breites Spektrum der Gesellschaft ab. Der älteste Mitarbeiter ist 85 Jahre alt. Aber auch Migranten, die vor 3 Jahren noch im Integrationskurs saßen, arbeiten hier.


An 16 Endmontagearbeitsplätzen werden die Räder entsprechend der Kundenkonfiguration montiert. Die vormontierten Rahmen hängen in allen Farben an der Decke. Die Auftragslage ist gut. Leider können derzeit nicht alle Teile rechtzeitig geliefert werden. Die Reifen von Schwalbe bspw. werden in Malaysia produziert, wo es einen kompletten Lockdown gab. Gemessen an der Auftragslage könnten eigentlich noch mehr Montageplätze ausgelastet werden. Aber auch so schon werden praktisch immer Mitarbeiter in der Produktion gesucht.

Mit dem letzten Handgriff wird das Typenschild angebracht. Auch hier gibt es Unterschiede, je nach beliefertem Land.

Alle Antriebssysteme können montiert werden. Von Shimano Schaltgruppen über Rohloff- und Pinionschaltungen bis zu Elektroantrieben. Dieses Modell hat einen Elektroantrieb.

Das Rad ist fertig. Dieses sportliche  Modell heißt Scorpion und hat drei Laufräder.  Es ist erstaunlich wendig und wird mit zwei Griffen rechts und links gelenkt. Gibt es keinen herkömmlichen Lenker, so braucht man andere Lösungen für Rückspiegel, Bedieneinheit, Schaltgriff und Klingel. Die Bedieneinheit hat eine Halterung auf dem linken Griff, der Rückspiegel sitzt auf dem Radträger und rechts wird geschaltet. Dort ist auch die Klingel. Besonders ergonomisch ist die Schaltung am rechten Griff. Hier ist die Schaltung in den gesamten Griff integriert.

Diese Räder warten darauf, verpackt zu werden

Für den Versand zerlegt der Mitarbeiter die Fahrräder je nach Bestimmungsort in zwei oder drei Teile und schützt empfindliche Stellen mit Schaumstoff. Räder als medizinische Hilfsmittel genauso wie Räder für Abenteurer in die USA. Besonders stolz sind Mitarbeiter und Geschäftsführung auf den hessischen Exportpreis in der Kategorie „Handwerk“, der ihnen 2017 für ihre internationale Markterschließungsstrategie verliehen wurde.

Mit diesem sportlichen Modell durfte ich eine Probefahrt machen und war erstaunt, wie komfartabel, wendig und vor allen Dingen windschnittig es sich fährt

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