Albanien – Sarandë und Vlorë

Das Frühstück kommt mit Verspätung und ohne Kaffee. Sonst ein echtes Balkanfrühstück. Spiegeleier, Käse, Butter, Marmelade, Tomaten und Gurken und Orangensaft. Danach brauche ich erstmal einen Kaffee.

Wir kaufen SIM Karten. Pflichtprogramm in einem neuen Nicht-EU-Land. Später schauen wir nach dem Bus nach Vlorë. Vorher hatte ich mich schon durchgerungen, mit dem Rad wenigstens bis Himarë zu fahren. Trotz mehr als 1000 hm auf etwas über 50 km. Über den LLogara-Pass mit über 1000 m Passhöhe trauen wir uns beide nicht, mit dem Rad zu fahren. Der Chef vom Busunternehmen rät davon ab. Zwar würde der Bus in Himarë halten, aber dann wäre der Bus vielleicht schon voll. Er kommt aus Griechenland und lebt jetzt in Albanien. Er beklagt die Korruption. Auf die Frage, um welche Art von Korruption es sich handelt, verweist er auf die Regierung. Der Fisch stinke vom Kopf her. Wir lassen uns darauf ein, am nächsten Tag um 11 Uhr an der Bushaltestelle zu sein, um die Räder einzuladen.
Anschließend bummele ich durch die Stadt und komme zufällig an einem Museum vorbei. Ein Euro. Das Bodenmosaik einer römischen Kirche, ausgegraben in den achtziger Jahren und ein Traditionsmuseum. Es zeigt Sarandë nach der Unabhängigkeit 1912 bis 1937 als Fischerdorf und später nach der Befreiung vom Faschismus im Sozialismus. Die Museumsangestellte wiederholt ihre Sätze. Die Bilder aus der Enver Hoxha Zeit zeigen, wie sich Sarandë positiv entwickelt habe. Oben im Museum noch mehr Bilder. Glückliche Menschen, singende Frauen und Männer, spielende Kinder, Kinder in der Schule. Wenn man das heutige Sarandë sieht, blickt man wehmütig auf die Bilder der alten Zeit.
Auf dem Weg zurück zur Unterkunft hält ein Kleinwagen neben mir. Der Fahrer stellt sich und seinen Freund vor, möchte wissen, wie ich Sarandë finde. Mit dem Eindruck aus dem Museum, sage ich „zu viele Häuser. Da sieht man die Berge ja gar nicht mehr“. Er erwidert, dass die Touristen doch irgendwo wohnen müssten. Ich sage, dass ich gerade aus dem Museum komme und es damals schöner fand. Er lenkt ein, vielleicht auch nur, um es mir recht zu machen. Was sein Freund in Sarandë arbeiten könnte. „Kellner“ sage ich. Die beiden lachen. Der Freund würde in seinem Ort eine Autowaschanlage betreiben. Sie wünschen mir einen schönen Tag und fahren weiter.
Noch kurz einen Blick auf den Markt. Er ist erbärmlich. Nicht alle Stände sind besetzt. Es gibt nicht viele Kunden. Das Angebot wäre rein albanisch – bis auf die Bananen. Eine Verkäuferin preist ihre Waren an. Auch hier: Warten auf die Touristen.

Ich sitze im Café und genieße die Aussicht. Es ist warm und sonnig. Blick auf die Bucht von Sarandë. Dann zur Bushaltestelle. Es ist noch zu früh. Erst fährt der recht voll besetzte Bus nach Tiranë. Bezahlen sollen wir im Bus, nicht in der Agentur. Kurz nach 11 Uhr kommt der Bus aus Vlorë. Vorderräder wollen wir nicht ausbauen. Wir haben beide keine Schnellspanner. Der Preis wird ausgehandelt. 3000 Lek pro Person. Mehr als doppelt soviel, wie der Preis, der in der Agentur aushängt. Aber ok. Die Räder kommen in den Fahrgastraum und nehmen viel Platz weg. Mit uns ist noch eine Frau im Bus. An der nächsten Straßenecke steigt noch ein Ehepaar zu, dass bald in einem Ort an der Strecke aussteigt. Ich gehe nach vorne, denn ich möchte für ein Foto kurz aussteigen. Für den Rest der Fahrt sitze ich hinter dem Fahrer mit Blick durch die Vorderscheibe. Der Bus fährt langsam. Zweimal häl der Fahrer an, damit ich draußen Fotos machen oder er fährt auf der Gegenfahrbahn, damit ich die Landschaft besser sehen kann. Die Landschaft ist atemberaubend schön. Zwischen Bedauern und Erleichterung bewegt sich meine Stimmung. Bedauern, nicht mit dem Rad zu fahren, die Landschaft zu genießen und schöne Bilder machen zu können und Erleichterung, die Steigungen nicht hoch zu müssen. Bis Himarë wäre es vielleicht gegangen. Meist sehen die Steigungen gut fahrbar aus, aber es sind auch ein paar sehr steile Stellen dabei, die ich nicht hoch gekommen wäre. Es sind nicht so sehr die Serpentinen am LLogara-Pass. Sie ziehen sich gleichmäßig dahin. Vorher gibt es Stellen, die für mich selbst schiebend schwer zu bewältigen gewesen wären. Unterwegs überholen wir einen jungen Reiseradler, der sich mit seinem Gepäckrad hochquält. Auf der Nordseite des Passes sind die Berge bewaldet. Es ist grün, kühl und feucht. Auf der Abfahrt vom LLogara Pass hält der Fahrer für 30 Minuten und macht mit einem der Fahrgäste eine Pause im Café. Die Toilette im Café muss man benutzen können. Es gibt zwar Wasser im Spülkasten, aber der ist nicht mit der Toilette verbunden. Das Wasser läuft auf den Boden und von dort nach draußen.
Der Busfahrer kennt seine Fahrgäste. Nicht jeder muss bezahlen und nicht jeder darf bezahlen. Jeder drückt ihm beim Aussteigen einen anderen Schein in die Hand. Ein Mann, der nur eine kurze Strecke mitfährt, möchte ihm 200 Lek geben. Legt das Geld vor die Scheibe. Der Busfahrer wirft es ihm hinterher. Zwei junge Mädchen, die mitfahren, bezahlen nichts. In Sarandë werden Sachen zum Mitnehmen mitgebracht, ein Briefumschlag und ein Paket. Ein Mann, der ebenfalls einen Brief mitgeben möchte, wird von dem Aufpasser an der Bushaltestelle beschimpft und weggeschickt.

Vlorë ist anders als Sarandë. Die Stadt ist nicht eng in den Berg gebaut, sondern sehr großzügig in die Fläche. Boulevards bilden die Achsen der Stadt. Eine sehr breite Promenade befindet sich vor der ersten Häuserreihe, die zum größten Teil aus Hotels und Restaurants besteht. Nachmittags ist noch wenig los. Abends gibt es viele Menschen und Autos fahren auf und ab. Wir essen in einem Restaurant an der Promenade. In Albanien scheint es üblich, dass die Portionen unter der Tischrunde geteilt werden. So bestellen wir jedes mal zu viel. Ich bestelle geröstetes Huhn und bekomme einen Teller voller Hühnerstücke mit und ohne Knochen. Nur mit den Fingern zu essen. Es schmeckt nicht schlecht. Aber es liegt mir nicht, Knochen abzunagen und mit den Fingern zu essen. Schon nachmittags hatte ich auf den Speisekarten vor den Restaurants gesehen, dass viel Ruccolasalat angeboten wird. Die Portion ist zwar auch zu groß, aber lecker.

Ich fahre mit dem Rad zum Kloster Zvërec, während Stefan einen Ausflug ins Landesinnere macht und Vlorë von oben fotografiert. Elf Kilometer flache Fahrt. Erst Radweg, dann eine schöne Straße durch einen Kiefernwald. So richtig was zu sehen gibt es nicht. Das ehemalige Kloster liegt auf einer Insel. Es wird gerade renoviert. Ein Holzsteg führt hinüber. Nur die Kapelle kann man besichtigen. Das ist schnell erledigt. Auf dem Weg zurück fahre ich durch einen Vorort, der kleine Einfamilienhäuser beherbergt. Die Häuser verfallen größtenteils bzw. sind in sehr schlechtem Zustand. Autos stehen nicht in der Straße. Ich wage mich nicht zu fotografieren und weiss auch nicht, wie ich das fotografieren soll. Der Gesamteindruck ist bedauernswert. Aus einem Auto mit italienischem Kennzeichen werde ich von einem Mann, dem einige Vorderzähne fehlen, angesprochen. Eine Frage nach ‚Wieviel Euro‘, aber ich weiß nicht wofür. Ich fühle mich unwohl. Lieber bringe ich das Rad zum Hotel und laufe zurück zum Platz der Unabhängigkeit. Alles scheint im Bau zu sein. Der Platz, das Nebengebäude, die Museen. Ich laufe Richtung historischer Altstadt und gerate auf den Rathausplatz . Pflastersteine fehlen oder sind noch nicht vollständig gelegt. Eine große breite Treppe auf dem Platz ragt hinauf. Sie sei zum Sitzen und Essen da, erzählt mir die Frau in einem Bäckerladen. Sie macht mit ihrem Mann traditionelle Torten, die in erster Linie als Geschenk dienen. Ich esse einen Nachtisch aus Vanillepudding und Keks. Dabei frage ich sie nach den heruntergekommenen Häusern. Sie sagt, dass es am Systemwechsel liegt. Im Sozialismus hätten die Menschen Arbeit gehabt. Heute hätten sie keine Arbeit und kein Geld. Die jungen Leute lebten im Ausland. Es sei eine Katastrophe. Demokratie sei trotzdem besser. So ähnlich wiederholt es die Museumsangestellte im Haus der ersten Unabhängigkeitsregierung. 1912 bis 1914 hat sie dort residiert. Die Unabhängigkeit ist wichtig in Vlorë. Sie wurde in Vlorë erfochten und ausgerufen. Albanien ist der letzte Staat des Balkan, der aus dem osmanischen Reich ausgetreten ist. Nicht nur gegen die Osmanen, sondern auch gegen Serben, Montenegriner und Griechen hätten sie kämpfen müssen. Diese Länder hätten versucht, die Situation auszunutzen und sich ein Stück vom albanischen Kuchen abschneiden wollen. Sie erzählt, dass Vlorë nur wenige ständige Einwohner habe, hauptsächlich ältere Leute. Im Sommer sei die Stadt voll. Es kämen nicht nur Touristen, sondern auch die Albaner, die im Ausland arbeiteten. Ja, die Menschen fühlten sich jetzt frei. Im Sozialismus seien sie ja komplett isoliert gewesen. Einige Albaner würden es nicht verstehen und wollten nur die Vorteile der Demokratie. Die Häuser seien deshalb so verfallen, weil viele Menschen ihre Häuser schon seit Jahren verlassen hätten.

Blick auf Vlorë und die Lagune am Kloster Zvërnec
Vlorë – Kloster Zvërnec 25,8 km40 hm

4 Kommentare zu „Albanien – Sarandë und Vlorë

  1. Sabine,
    ist das ein Abenteuer,dazu noch ohne die richtigen Sprachkenntnisse.Seid froh,dass ihr zu zweit seid.
    Die Überquerung des Llogara-Pass´, habt ihr richtig gemacht,aber die Verladung deines Rades im Innenraum ist schon ein Bild wert.
    Ich hatte ein ähnliches Thema vor vielen,vielen Jahren am Wurzenpass,auch Rad im Bus und knallvoll.
    Die Zeit ist lange her,zudem heute 70+,da geht´s nur noch mit dem E-bike.
    Deine Bilder und natürlich die Beschreibungen sind wirklich ein Buch wert.
    Weiterhin viel Spass und bleib gesund.
    Grüsse vom Bodensee!
    Dieter

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    1. Viele Grüße aus Tirana an den Bodensee
      Mit E-Bike kann ich mir so eine Tour leider nicht vorstellen. Ich nutze noch die letzten Jahre, in denen es anders geht. Lange dauert es bei mir auch nicht mehr.

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