Die Save entlang bis Slavonski Brod

Und dann geht es richtig los. Der erste Radtag. Das Hotel Orient Express in Zagreb hat mir gut gefallen. Nochmal gutes Frühstück und dann aufs Rad. Rückenwind auf den ersten Kilometern. Der Radweg wechselt mehrmals die Straßenseite. Ich habe Zeit. Dann geht es durch die gar nicht mehr historischen Industriegebiete aus der Stadt hinaus. Aus einer Stadt hinaus- oder hineinfahren ist selten erfreulich. Dann kommen die stadtnahen Vororte. Hier habe ich noch das Gefühl, dass sie bewohnt und belebt sind. Je weiter es weg geht, umso mehr Bauruinen, verlassene Häuser und zerfallene Häuser sieht man. Das gleiche Bild, wie letztes Jahr an der Drava. Der Weg führt über Nebenstraßen, die heute am Sonntag kaum befahren sind. Nach einem Schauer am Morgen wird es nachmittags recht warm. Ich fahre an Feldern entlang, die gepflügt sind oder werden. Laut Komoot befinde ich mich auf einem ausgeschilderten Radweg. Ein einsames Hinweischild lange nachdem ich aus Zagreb heraus bin. Ein weiteres weist über die Save, an deren Ufer eine Fähre schläft. Nicht meine Richtung. Über eine Brücke über die Save und finde ich in Martinska Ves tatsächlich eine offene Bar und trinke eine Limo. Zehn Kilometer weiter in Šišak suche ich das Hotel. Die 66 km reichen mir für den ersten Tag. Am Ende musste ich gegen starken Gegenwind ankämpfen. Im Hotel gibt es eine Feier. Als ich mich niederlassen will, um etwas zu trinken, sehe ich draußen touristische Hinweisschilder und entschließe mich, noch einen Spaziergang zu machen. An einem Zufluss der Save, der Kupa gibt es die alte Brücke ‚Stari Most‚ als historisches Bauwerk. Außerdem begegnet mir Slavo Striegl in Form einer Statue auf der Promenade. Er ist lokaler Maler und schon 103 Jahre alt. Auf der Promenade mit Bars und Cafes ist lebhaftes Treiben. Ich trinke ein Bier und genieße die warmen Sonnenstrahlen der Nachmittagssonne.

Am nächsten Morgen möchte ich mir noch Stari Grad anschauen, bevor ich losfahre. Es ist eine alte Burg am Zusammenfluss der Save mit der Kupa. Ein Radfahrer mit E-Bike trifft gleichzeitig mit mir an der Burg ein. Ich spreche ihn auf Englisch an, aber er wechselt bald ins Deutsche. Er ist Slowene. In Slowenien ist er für die Radwegführung an der Save verantwortlich. Er macht drei Tagesetappen an der Save, bevor er mit seiner Frau nach Mazedonien zu ihrer Familie fährt. Andrej spricht sehr gut Deutsch. Obwohl er mit dem E-Bike unterwegs ist, fahren wir den ganzen Tag zusammen. Die Strecke an der Save ist zwar kaum ausgeschildert, aber sehr malerisch. Wir fahren durch ein traumhaft schönes Naturschutzgebiet entlang der Save. In dem Gebiet sind 325 km touristische Radwege ausgeschildert. Andrej erzählt, dass dort keine Neubauten mehr entstehen dürfen. Die Bewohner bekommen Geld dafür, ihre Häuser in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Etliche verfallende und einige schön renovierte alte Holzhäuser stehen an der Strecke. Störche, Vogelgesang, freilaufende Schweine fallen mir auf. Andrej hat ein Gespür für die Schilder. Zur Rast fahren wir auf eine Touristische Anlage. Hier kann man übernachten, picknicken, Boot fahren, angeln… Den ganzen Tag unterhalten wir uns angeregt. Er erzählt viel über seine Tätigkeit bei den slowenischen Grünen, in der slowenischen Politik, aus der er sich aus familiären Gründen zurückgezogen hat. Wir stellen fest, dass wir die momentane politische Situation ähnlich beurteilen. Auch für ihn gibt es im Moment keine Lichtgestalt am Politikhimmel. Die europäische Politik, wo eine Kommission an nationalen Parlamenten vorbei Entscheidungen trifft. Das ist keine gute Vision für Europa. Korrupte Politiker setzen die Interessen der Konzerne gegen die Menschen durch. Eine alternative wirklich demokratische Europapolitik müsste her. Die nationalkonservative Gegenbewegung gegen die autoritären Bestrebungen der europäischen Kommission ist auch keine Alternative. Es ist ein interessanter Tag mit vielen Facetten und wir sind beide erstaunt, wie sehr wir politisch übereinstimmen.
Die Unterkunft in Jasenovac hatte ich schon morgens gebucht. Mit Rückenwind fahren sich die 72 km gut und zügig, obwohl wir viele Fotopausen machen.

Auf dem Weg von Novska nach Nova Gradiška packt mich das Entsetzen. Auf einer Strecke von 40 km sind 90 Prozent der Häuser verfallen, zerstört, unbewohnt, unbewohnbar oder Bauruinen. Erst kurz vor vor Nova Gradiška ändert sich das. Vor renovierten Häusern stehen oft deutsche oder österreichische Autos. Ich fotografiere ein renoviertes Haus, an dem gearbeitet wird. Der Besitzer ist verärgert, dass ich das Haus ungefragt fotografiere. Erst nachdem ich ihm erkläre, dass ich entsetzt über den Zustand der Gegend bin und dass mich das Gesehene traurig macht, dass ich sein Haus schön finde, lädt er mich ins Haus ein. In Deutschland arbeitet er selbstständig im Raum Frankfurt. Er sagt, dass das kein Leben ist in Deutschland. Nur arbeiten, Stress und Hektik. In Kroatien hat er seine Freunde. Ich unterhalte mich mit seiner Frau. Sie kommt aus Uruguay. In Kroatien gäbe es keine Handwerker. Deshalb sind viele Häuser halbfertig oder unverputzt. Sie hätten große Schwierigkeiten, Handwerker zu bekommen. Und die, die kämen, hätten keine Ahnung. Sie zeigt mir die Stellen, wo die Handwerker schlecht gearbeitet hätten. Leider muss ich ihr Recht geben. Seit Kroatien in der EU ist, wäre alles besser geworden. Am Anfang hätte es in Nova Gradiška nichts gegeben. Kein Café, kein Restaurant, nichts, wohin man mal gehen könnte. Auch hätte es noch mehr verfallene Häuser gegeben. Langsam würde es besser. Sie empfiehlt mir noch ein Restaurant und weiter geht es. Ich kehre dort ein und mache den Fehler, Nudeln zu bestellen. Keine Spezialität kroatischer Küche. Hinter Nova Gradiška wandelt sich das Bild. Die Straße wird immer normaler. Von Novska bis Slavonski Brod ist praktisch die gesamte Straße mit Häusern gesäumt. Straßendorf reiht sich an Straßendorf. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit mal im Gebüsch auszutreten.

Mich beschäftigt die Frage, ob ich die 100 km bis Slavonski Brod schaffe. Es ist eigentlich zu viel, aber ich möchte einen Pausentag machen und die Stadt besichtigen. Also beiße ich die Zähne zusammen und halte durch. Kurz vor dem Ziel gibt es noch einen heftigen Schauer. Eine willkommene Pause an einer Tankstelle, um ein Zimmer zu buchen. Danach fahre ich entspannt weiter. Immer wieder werde ich von hupenden Autofahrern überrascht, die mir freundlich zuwinken.

Nicht nur wegen einem Tag zur Stadtbesichtigung, sondern auch, weil Regen angesagt ist, bleibe ich in Slavonski Brod. Nachmittags soll es regnen. Deshalb gehe ich gleich morgens auf meinen Stadtspaziergang. Es zieht mich an die Save. Von weitem sehe ich die Grenzbrücke. Das Ufer der bosnischen Stadt Brod auf der anderen Flussseite. An der Promenade sitzt eine Skulptur – träumend, im Rucksack trägt sie ein Fabelwesen. Sie sieht sehnsüchtig über den Fluss. Eine weitere Skulptur steht etwas näher an der Brücke: Ein Drachentöter. Die Skulpturen sind neueren Datums. Sie sind in Anlehnung an Motive aus Kinderbüchern der Autorin Ivana Brlić Mazuranić entstanden. Sie verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens (1874 – 1938) in Slavonski Brod und hatte sieben Kinder. Bevor ich das Regionalmuseum besuche, von dem ich mir Aufschluss über die zerstörten Häuser an der Straße erhoffe, mache ich einen Rundgang. Schöne Häuser gebe es in Slavonski Brod, schrieb mir ein Bekannter seine Ergebnisse aus der Internetrecherche. Tatsächlich gibt es ein paar schöne Häuser. Da die Altstadt in den vergangenen Kriegen weitgehend zerstört wurde, sind die nicht so schönen jedoch in der Mehrzahl. Ein weisses Riesenrad ist in einer Nebenstraße abgestellt. Geht man weiter kommt man zur Festung Brod, einer Burg aus dem 18. Jahrhundert, die zur Abwehr osmanischer Übergriffe errichtet wurde. Slavonski Brod liegt an der Grenze des osmanischen mit dem habsburgischen Reiches. Schon seit vielen Jahrhunderten verläuft in Jugoslawien die Kulturgrenze zwischen muslimischer, orthodoxer und römisch-katholischer Religion. Im Jugoslawienkrieg wurde die ethnische Vielfalt von den Konliktparteien gezielt ausgenutzt, um Ressentiments zu schüren, um die eigenen Ziele zu erreichen, Vor dem Haupthaus stehen Schüler in der Uniform ehemaliger Gradisten und halten Wache. Heute ist hier nach ihrer Auskunft das Rathaus untergebracht. Das Regionalmuseum hat fast alle Abteilungen wegen Umbau geschlossen. Für mich wird eine englischsprachige Mitarbeiterin geholt. Sie erklärt mir die Geschichten von den Skulpturen.
Auf der Suche nach einem Restaurant stelle ich fest, dass Slavonski Brod ein Eldorado für Biertrinker ist. Es gibt etliche Biergärten und einer von ihnen trägt sogar den deutschen Namen ‚Biergarten‘. Ich finde ein kleines unscheinbares Restaurant Gurman. Es ist äußerst geschmackvoll eingerichtet und hat eine sehr vielversprechende Speisekarte. Leider gibt es gerade nicht so viel und ich bestelle das Mittagsmenu. Das Ambiente entschädigt mich.

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