Von der Schlacht auf dem Marchfeld nach Schlesien

Meine Gastwirte versuchen noch ein Fahrradgeschäft zu kontaktieren, damit ich den Reifen wechseln kann. Es ist Samstagabend. Niemand meldet sich. Die Gastwirtin vertreibt Produkte aus Kürbis: Kürbiskernöl, geröstete Kürbiskerne mit Zimt oder Salz, Kürbislikör und selbstgemachte Marmelade. Der Kürbislikör auf Basis von Eierlikör hat einen besonderen, nussigen Geschmack. Sie steht samstags auf dem Markt und vertreibt ihre Produkte zusätzlich über das Internet http://www.renateeder.at . Sie ist Grenzlandbeauftragte für die Grenzregion zur Slowakei. Während dieser Arbeit kommt sie mit vielen Menschen aus der Slowakei und aus Tschechien zusammen und ist keineswegs der Meinung, dass es in der Slowakei nichts gibt. Die Menschen in der Slowakei wären freundlich und hilfsbereit, im Gegensatz zu manch einem Österreicher. Und feierfreudig wären die Slowaken auch, sagen meine Wirte und bestätigen meinen Eindruck aus der Slowakei.

Nachts bekomme ich Bedenken, ohne neuen Reifen weiterzufahren. Morgens regnet es in Strömen, so dass es mit dem Weiterfahren sowieso schwierig geworden wäre. Zum Glück ist das Zimmer frei und ich kann noch bleiben. Montags will mich der Wirt zum Fahrradgeschäft bringen. Ich bin erleichtert. Das Loch im Mantel ist noch größer geworden. Die Wirtin empfiehlt mir, das Museum im Schloss Jedenspeigen zu besichtigen. Dort gibt es eine neue Ausstellung zur Schlacht auf dem Marchfeld 1278. Das Marchfeld ist genau hier. Und hier gab es 1278 eine historische Schlacht zwischen den Königen Ottokar II. und Rudolf I. Für Österreich und die ganze Region ist es ein gewichtiges historisches Ereignis. Rudolf gewann und damit die österreichischen Provinzen. Die Schlacht wird als Begründung des Staates Österreich angesehen. Damals zogen infolge dieses Ereignisses Österreich, Ungarn und Böhmen ihre Grenzen. In der sehenswerten Ausstellung kann ich nachlesen, wie sich im 9. Jahrhundert Ungarns Gründung von Einwanderern aus Asien und der Überfall der Mongolen vollzogen hat. Nicht nur eine historisch bedeutsame Gegend ist das hier. Hier ist heute das österreichische Weinviertel mit Weinen wie dem grünen Veltiner im Anbau. Es gibt Radtourismus und Kanutouren. Bei klarem Wetter sieht man in die Karpaten. Unter www.jedenspeigen.at kann man sich über die Region informieren.

Das erste, was der Fahrradhändler in Hohenau an der March montags macht ist feixen. Feixen, dass ich mit einem Citybike auf Tour wäre. Und 26er Räder wären völlig out. Er hat keinen Schwalbe Marathon mondial Reifen in 26er Größe. Er müsse ihn bestellen. Dann wäre der Mantel morgen da. Keine gute Lösung! Dafür hat er eine Menge E-Bikes. Von Reiserädern scheint er nicht viel zu verstehen. Sein Mitarbeiter sucht nach einem 26er Mantel. Er findet einen Continental und baut ihn mit einem Pannenschutzband ein. Rechtzeitig fällt mir noch ein, dass er den vorderen Schwalbe-Mantel nach hinten montiert, so dass die schwächere Bereifung vorne ist. Gesagt, getan! Und kurze Zeit später kann ich Richtung Slowakei starten. An der slowakischen Grenze wieder keine Kontrolle. Ein paar 100 Meter weiter lauert die Polizei im Gebüsch auf dem Radweg. Ich biege in die andere Richtung ab – unbehelligt.

Der Radweg verläuft nun über mehr als 30 km an der slowakisch-tschechischen Grenze entlang. Zunächst auf unbefestigtem, aber gut fahrbarem Weg durch den Wald. Später an der March / Morave. Genussradeln! Und so geht es auch in Tschechien weiter. In Tschechien treffe ich auf den Eurovelo 4, dem ich bis Krakau folgen kann. Es ist ratsam nicht von dem Eurovelo abzubiegen. Der EV4 verläuft auf einer traumhaft schönen Strecke. Bis Kroměříž gibt es eine gute touristische Infrastruktur. Hinter Kroměříž verlässt der EV4 die March und folgt der Bečvou, deren Lauf der Radweg nun bis zur mährischen Pforte folgt. Direkt hinter der slowakisch-tschechischen Grenze führt der Radweg durch eine Weingegend. Weinstände und -lokale säumen den Weg. Zum Übernachten halte ich an einem Aqua-Camping in Ostrožská Nová Ves. Es ist ein kleines Feriendorf an einem See, voll mit jungen Familien. Ein perfekter Platz, um Urlaub mit kleinen Kindern zu machen. Der See ist ganz flach – der ganze Platz ein großer Kinderspielplatz. Auf dem Parkplatz gegenüber der Straße gibt es die Möglichkeit zu zelten. Der Rezeptionist bietet mir den letzten verfügbaren Bungalow zu einem Vorzugspreis an. Für mich wäre ein Bungalow doch besser geeignet. Ich nehme ihn gerne, bade im See, freue mich an den spielenden Kindern, denke an meine Enkelkinder und bekomme von den Nachbarn einen Sliwowitz. Mein bisschen Russisch hilft mir auch an diesem Abend, aber die Kommunikation ist begrenzt. An dem Sportplatzrestaurant komme ich mit zwei Männern ins Gespräch, die unweit zur Kur sind. Ich schaue Bilder von Urlaub in Kenia und China an und von einer zukünftigen Ehefrau.

Weiter geht es an der March, die hier viele Staustufen hat. Ich schaue nach, ob heute Feiertag ist. Es scheint, alles unterwegs zu sein, was rollen oder schwimmen kann. Radler, Skater, Rollerfahrer, Hausboote, Stehpadler, Ruderboote. Es ist kein Feiertag. Es sind Urlauber. Noch ein paar Feriendörfer säumen den Weg. Hinter Kroměříž ist es vorbei mit dem bunten Ferientreiben. Als ich mal nicht dem Eurovelo 4 folge, durchquere ich Industriegebiete und verfahre mich an einer gesperrten Straße. Ein tieffliegendes Militärflugzeug erschreckt mich. Durch den Umweg muss ich mein Ziel, in zwei Tagen bis Ostrava zu fahren, in den Wind schreiben. Ich habe mich in meiner Euphorie über die gute Strecke und die schöne Natur mal wieder überanstrengt. Ich frage mich, warum ich so hetze. Abends bin ich froh, eine Pension zu finden. Zu müde für eine Unterhaltung. Nur noch schlafen. Der nächste Morgen beginnt mit leichtem Regen, der bald nachlässt. Bevor ich die mährische Pforte, die europäische Wasserscheide zwischen March/Morave und Oder quere, sehe ich rechts des Weges eine imposante Burg, die Burg Helfenstein (www.helfstyn.cz). Sie wurde nach der Schlacht auf dem Marchfeld im Zuge des entstandenen Machtvakuums nach Ottokars Tod gebaut. Zwei kleine, aber heftige Steigungen muss ich noch überwinden. Dann bin ich an der jungen Oder in Kunin an der Grenze zu Schlesien.

Auch in Tschechien gehen die Menschen wesentlich entspannter mit den Coronaregeln um. Gäste tragen in Innenräumen der Gastronomie Masken, wenn sie nicht am Platz sitzen, aber die Bedienung trägt keine Masken. Eine Registrierung der Gäste erfolgt auch nicht. In Supermärkten sollen die Kunden auch Masken tragen. Das ist jedoch nur eine Momentaufnahme. Im Radio werden auch die Inzidenzzahlen verkündet, aber mehr verstehe ich nicht.

Etappen Hohenau an der March – Kunin

Hohenau an der March – Veseli nad MoravouOstraska Nova Ves75,9 km
Ostraska Nova Ves – Lipnik nad Bezvou85,3 km
Lipnik nad Bezvou – Kunin50,3 km

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