Nostalgische Gefühle in Ungarn

von Osijek nach Budapest

Nach zwei Tagen mit Starkregen breche ich in Osijek auf, obwohl weiterer Regen angekündigt ist. Meine Hoffnung, dass es sich nur um ein bisschen leichten Regen handelt, erfüllt sich. Es ist angenehm bei Temperaturen knapp über 20 Grad und trüben Himmel zu radeln. Mein Weg führt mich nun auf dem Donauradweg durch die nördlichen Stadtteile und Vororte von Osijek. Der Donauradweg scheint mehr Touristen anzuziehen. Einige Hotels und Bars säumen meinen Weg. Auf meiner Route hatte ich eine Erhebung gesehen, die nicht zu umfahren ist. Auf Nachfrage bei meinen Gastgebern, um was es sich da handelt, bekam ich die Antwort, dass das nicht sein könne. Das ganze Land wäre flach. Also war ich gespannt. Komoot lügt leider nicht. Es gibt einen kleinen Höhenzug auf dem Weg zur ungarischen Grenze. Dort wird u.a. Wein angebaut und es gibt ein Schild, das auf die kroatische Weinstraße hinweist.

Auch an der ungarisch-kroatischen Grenze wird kontrolliert. Hier nur die Ausweise. Zur Einreise nach Ungarn brauchte ich meinen Impfpass nicht vorzeigen. In Ungarn sind derzeit sämtliche Coronamaßnahmen aufgehoben. Das führte zu meinem ersten Nostalgie-Erlebnis. Einkaufen ohne Maske, Kellner ohne Maske, Hotelrezeption ohne Maske, keine Maske auf der Fähre. Es fühlt sich an wie ein Leben in einer anderen Zeit, in einer unbeschwerten Zeit. Und doch überkommt mich der Gedanke, dass dieses Gefühl nur geliehen ist, bis ich Ungarn wieder verlassen werde.

Neugierig schaue ich mich um? Was für ein Land ist Ungarn. Viel gescholten in der EU. Sofort fällt mir auf, dass die Felder ordentlich bestellt sind, landwirtschaftliche Betriebe modern und gepflegt aussehen. Ungarn würde ich als aufgeräumtes Land bezeichnen, das ein bisschen aus der Zeit gefallen ist. Auf den Feldern arbeiten Ungarn. Migranten sehe ich nicht. Die Autos rasen so schnell es geht die Straße entlang. Gibt es Geschwindigkeitsbegrenzungen? Ich sehe nicht ein Schild, das darauf hinweisen würde. Radwege, die nicht aus dem EU-Programm finanziert werden, haben die Qualität von Radwegen in Deutschland in den siebziger Jahren. Im Restaurant esse ich gefüllte Paprikaschote. Erinnerung an Kindertage. Die Dörfer, durch die ich fahre, sind gepflegt. Die Ortskerne mit Statuen verschönert. Weder Windräder noch Solaranlagen trüben die Idylle. Heile Welt scheint das hier zu sein.

Hin und wieder tauchen Plakate auf, deren Sinn ich nicht ganz verstehe. Ein junges Paar, das auch mit den Rädern auf dem Weg nach Budapest ist, klärt mich auf. Die Regierung macht eine Umfrage, um ein Stimmungsbild aus der Bevölkerung zu erhalten. Es werden Fragen gestellt wie: „Sind Sie wütend auf Brüssel?“ , „Sollen die Arbeitsplätze erhalten oder mit Migranten besetzt werden?“ Ihrer Meinung nach rhetorische Fragen, die von dem eigentlichen Problem, dass die Regierung korrupt ist, ablenken. In Ungarn lässt sich gut leben, bestätigen sie. Besser als vor 34 Jahren als ich das letzte Mal in Ungarn war. Schon nach den Unruhen von 1956 wäre die Regierung gezwungen gewesen, etwas für die Verbesserung der Situation zu tun. Deshalb hätte Ungarn nach der Wende eine bessere Ausgangslage gehabt.

Wieder einmal mache ich den Fehler, schon morgens ein Hotel zu buchen. In Kalosca, 83 km entfernt. Es scheint machbar, nur habe ich den böigen Gegenwind nicht eingerechnet. Den ganzen Tag fahre ich auf dem Damm. Links Bäume, rechts Felder. Die letzten Kilometer auf der Bundesstraße. Ich habe keinen Blick mehr für das hübsche Städtchen und die restaurierten Gebäude. Nach einem hervorragenden Nudelessen zieht es mich ins Bett.

Der nächste Tag beginnt zwar wieder mit Gegenwind. Die Strecke ist doch abwechslungsreicher.

Sie führt mich durch verschiedene Dörfer. Den Abend verbringe ich Dunaujvaros. Dazu fahre ich über eine atemberaubende Brücke hoch über die Donau hinauf ins Industriegebiet der Stadt. Schon von weitem konnte man Brücke und Industriegebiet sehen, dass sich über viele Quadratkilometer zieht. Energie aus Kohle, Stahlproduktion, Pappe und Papier sind die wichtigsten Produkte. Auf dem Weg in die Stadt liegt der Geruch von Kohlestaub in der Luft. Der Geruch ist mir auch noch von früher in Erinnerung. Die Werke und die Stadt wurden in den 50er Jahren gebaut. Doch heute stehen österreichische und deutsche Firmennamen an den Werkstoren. So hat die Stadt den Charme einer sozialistischen Industriestadt. Etwas abgeschreckt versuche ich das beste der schlechten Hotels zu treffen, die in meinem Budget liegen. Klub-Hotel heißt es. Geisterhaft mutet es an. Es gibt kaum Gäste. Sonst sind mehr Radler da. Corona trifft auch in Ungarn das Gastgewerbe hart.

Der folgende Abschnitt des Donauradwegs verläuft viele Kilometer über einen naturbelassenen Damm. Ich fahre 6 km über Gras. Zwischendrin gerate ich in eine Schafsherde. Die Schafe weichen als ich mein Rad vorwärtsschiebe und klingele. Nach 6 km habe ich die Möglichkeit den Grasweg, der noch weitergeht, zu verlassen. Ein Stück auf der Bundesstraße, dann auf Nebenstraßen parallel zum Radweg. Den Radweg treffe ich wieder an der Stelle, wo er an einem Seitenarm der Donau verläuft. Vorbei an Wassergrundstücken, zu denen meist ein Steg gehört. Moderne, protzige Häuser stehen friedlich neben den Häusern, denen man ihre Vergangenheit ansieht. Diesen Abend flüchte ich aus dem gebuchten Motel. Wieder so ein einsames Haus. Niemand da. Unterwegs bekam ich einen Anruf auf ungarisch. Jemand wollte mir etwas erklären. Wahrscheinlich, wie ich den Bezahlautomat bediene. Es gibt nichts zu Essen und zu Trinken in der Nähe. Ein paar Kilometer weiter treffe ich es besser. In einem alten Industriegebiet ein kleines Hotel mit Garten. Dort bleibe ich. Budapest ist jetzt nur noch 20 km entfernt.

Eine Schafherde begegnet mir

Streckenabschnitte von Osijek bis Budapest

Osijek – Mohács70,7 km
Mohásc – Felsokanda Kalosca82,8 km
Kalosca – Dunavesce72,2 km
Dunaujvaros – Szigethalom83,6 km
Szigethalom – Dunakeszi47,4 km

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